Der erste Wendt der Woche: Franken - Mit Foto + Filmtipp

23. KW 2018

 

Die Franken haben gelegentlich eine eigenwillige Rechtsprechung. Aber ich warne Sie: Es ist nicht auszuschließen, dass Sie sich nach der Lektüre echt beschissen fühlen werden. Macht Ihnen nichts aus? Gut, dann geht’s weiter: 

 

Auch Nürnberg gehört zu Bayern. Obwohl sie’s vermutlich nicht gerne hören, die Franken. Vielleicht haben wir in 20 Jahren ja einen Vielvölkerstaat aus unserer Bundesrepublik gemacht: Die Bayern mögen niemanden außer sich selbst und spalten sich ab. Die Franken mögen alle außer die Bayern und spalten sich ab. Die Ostfriesen, Saarländer und Sachsen mag niemand und werden abgespalten. Die Kölner mögen die Düsseldorfer nicht und umgekehrt und spalten sich ab. Aus dem einen unseren Staat könnten wir gut und gerne 20 Staaten machen. Aber wofür? Weil der Franke anders ist? Oder ist er das etwa nicht? Urteilen Sie bitte selbst:

 

Das Amtsgericht Nürnberg hatte am 11.5.1994 einen wirklich beschissenen Mietrechtsstreit zu entscheiden. Dieser Fall muss sich meiner Einschätzung nach so oder ähnlich ereignet haben: Stellen Sie sich vor, Ihnen gehört ein Achtfamilienhaus. Ich bin einer Ihrer Mieter. Sie wohnen unten links. Unmittelbar darüber wohne ich. Über mir wohnt seit einer Woche mein Kegelbruder. Der besucht mich am späten Vormittag. Wir gehen auf meinen Balkon und trinken ein Bier. Und ein Schnäpschen. Mein Kegelbruder fragt mich, wie Sie denn so als Vermieter seien. Ich antworte hörbar: „Der Vermieter ist ein Arschloch und eine Drecksau, der kann mich am Arsch lecken.“ Danach gibt’s zur Belohnung für so viel Menschenkenntnis noch ein Bier. Und ein Schnäpschen.

 

Zeitgleich müssen in Ihrer Wohnung Sanitärarbeiten vorgenommen werden. Das Toilettenabflussrohr im Deckenbereich Ihrer Wohnung, das die Fäkalien aus meiner Toilette nach unten befördert, hat ein Leck. Deshalb muss die Wand, in der sich das Toilettenabflussrohr befindet, aufgestemmt und das Toilettenabflussrohr herausgenommen werden. Der Klempner ruft, nein schreit durch das offene Loch in der Wand nach oben ins WC-Loch der darüberliegenden, also meiner Wohnung, dass meine Toilette bis auf weiteres bitte nicht benutzt werden darf. Vielleicht hat mir der Klempner diesen seinen Wunsch auch persönlich überbracht, das weiß ich nicht mehr so genau, Sie verstehen schon: Erst das Bier und dann der Schnaps, dann wieder Bier, da kann man schon mal durcheinanderkommen und was vergessen. 

 

Mancher Ruf verhallt, manch ein Wunsch bleibt ungehört. Kein Wunder, immerhin habe ich Wichtigeres zu tun.  Ich bin nämlich mit meinem Kegelbruder weiterhin auf meinem Balkon und gieße gerade meine Balkonpflanzen. Und zwar so ausgiebig, dass Sie, der Sie sich gerade auf Ihrem Balkon unter mir befinden, ziemlich nass werden. Sie rufen mir ein angesäuertes „Ey, was soll der Scheiß?“ hoch. Ich werfe Ihnen ein schuldbewusstes „Oh, ich wusste gar nicht, dass Sie auf dem Balkon sind.“ herunter. Die Sache mit Ihnen und dem Blumenwasser schlägt mir dabei so auf den Magen, dass ich aufs Klo muss. Ich brutzle einen mittelschweren Haufen durchschnittlicher Festigkeit ab. Da ich über einen Flachspüler verfüge, bei dem der Haufen zunächst auf dem sogenannten Stühlchen in Habachtstellung verharrt, kriegt der Klempner, der in Ihrem Badezimmer gerade am Toilettenrohr im Deckenbereich werkelt, noch nichts davon mit. Und da der Klempner weder La Paloma noch ein anderes Handwerkerlied pfeift, bekomme ich auch nichts davon mit, dass er da unten rumbastelt.

 

Das ändert sich schlagartig, als ich die Spülung betätige und der Haufen durch das herabfließende Wasser direkt auf dem Klempnerkopf landet. Der schreit wutentbrannt hoch: „Ey du Arsch, bist du bescheuert?“. Ich rufe, selbstverständlich tief betroffen, aber mit einem gewissen Trotz in der Stimme, herunter „Wenn der Wendt scheißen muss, dann scheißt er eben.“ Sie hören das, laufen schnell vom Balkon ins Bad, sehen den beschissenen Klempner, sind total angepisst (Passt hier super, oder?), laufen zu mir hoch und klingeln an. Ich öffne die Tür. Sie stürmen wortlos herein und werden unvermittelt von meinem Hund Oscar gebissen. Sie fordern mich mit hochrotem Kopf auf: „Halten Sie den Scheißköter von mir fern!“ Worauf ich Ihnen schuldbewusst erwidere: „Ich bin gut versichert.“

 

Ihnen reicht’s. Sie kündigen mein Mietverhältnis fristlos. Sie haben immerhin vier gute Gründe, glauben Sie. Ich ziehe natürlich nicht aus. Sie verklagen mich auf Räumung der Wohnung. Und? Erfolgreich? Was meinen Sie? Überlegen Sie in Ruhe. Na? Unschlüssig? Ich helfe Ihnen: Beschimpfung, Hundebiss, Nass gemacht, Klempner beschissen. Reicht das? Das Amtsgericht Nürnberg meinte:

 

1. Bezeichne ich meinem Kegelbruder gegenüber Sie als unseren gemeinsamen Vermieter als „Arschloch“ und „Drecksau“, und sage ich, „Sie können mich am Arsch lecken“, rechtfertigt diese Äußerung keine fristlose Kündigung. Interessant ist die Begründung des Nürnberger Amtsrichters. Er sagt, in unserer Gesellschaft hätten zunehmend Ausdrücke der Fäkalsprache in den allgemeinen Sprachgebrauch Einzug gehalten. Insbesondere gelte das für das Theater, das Fernsehen und die Literatur. Ich müsse daher, sagt der Richter, nicht davon ausgehen, dass Sie derartige Äußerungen als schwerwiegend empfänden. Respekt. Endlich mal ein Standpunkt. Eine Hommage an die Beleidigung? Dürfte ich also mit dieser Begründung – das Urteil ist ca. 25 Jahre alt, und Sprache im Theater, Fernsehen und in der Literatur dürfte heute noch um Längen fäkaler geworden sein – einem mich falsch beratenden Rechtsanwalt oder gar einem Richter, der gerade meine Klage abgewiesen hat, tatsächlich ernsthaft sanktionslos zurufen „Ey, Sie alte Kackbratze, ich furz Ihnen gleich ins Ohr und piss Ihnen auf den Schreibtisch!“? Oder nur einem Rechtsanwalt oder Richter in Nürnberg? Oder nur nach dem Verzehr von Lebkuchen und Bratwürstchen? In München hätte ich Bedenken, denn dort darf man ja schon kündigen, wenn man seinem Vermieter versichert, er sei ein promoviertes Arschloch (siehe mein Buch "Auf hoher See und vor Gericht" auf Seite 124). Ich bekomme ein leichtes Schwindelgefühl ob einer solchen richterlichen Begründung. Damit wir uns nicht missverstehen: Das Ergebnis ist durchaus vertretbar. Aber die Begründung? Ich weiß nicht recht.

 

2. Auch die Ausführung von Klempnerarbeiten mit dem Hinweis des Klempners auf ein offenliegendes Toilettenabflussrohr, die anschließende Nutzung der Toilette der darüberliegenden Mietwohnung und die Verschmutzung des Installateurs rechtfertige keine fristlose Kündigung, wenn die verbotswidrige Toilettennutzung nicht aufklärbar sei, meint das Amtsgericht. Das gelte auch, wenn ich daraufhin sage: „Wenn der Wendt scheißen muss, dann scheißt er eben.“

 

3. Der Hundebiss und meine Äußerung „Wir sind gut versichert“, rechtfertigten keine fristlose Kündigung, wenn Sie nicht nachweisen können, dass ich den Hund vorsätzlich auf Sie gehetzt habe.

 

4. Und gieße ich gerade meine Pflanzen auf dem Balkon und mache Sie nass, rechtfertige das keine fristlose Kündigung, wenn Sie nicht nachweisen können, dass ich das mutwillig gemacht habe und das schon öfter passiert ist.

 

Jetzt sind Sie dran. Sofort abspalten, sagen Sie? Wieso? Nur weil die Franken offenbar ein überaus großes Herz für fäkale Mieter haben? Ich bitte Sie! Wer wird denn gleich so kleinlich sein?

 

Für Interessierte:

AG Nürnberg 26 C 4676/93 

 

Filmtipp:

Amores Perros von Alejandro González Iñárritu

 

4 WdW - Franken

Pardon. Harter Stuhlgang.

 

© am Text: Detlef Wendt

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