27. KW 2018
Sie kennen es vielleicht aus Ihrem Job: Sie arbeiten schnell, Ihr Kollege wird schnell müde. Sie machen noch schnell sauber, Ihr Kollege macht ganz schnell Feierabend. Schnelligkeit ist ein wichtiger Gradmesser für Arbeitsleistung. Das ist bei Gericht nicht anders. Beispiel? Gerne:
Ein in Vollzeit tätiger Richter an einem Oberlandesgericht wurde an einen anderen Senat (andere Abteilung desselben Gerichts) versetzt. Die Präsidentin des OLG überprüfte im Rahmen der Dienstaufsicht die Arbeitsleistung des Richters, und zwar im Hinblick auf die Anzahl der erledigten Akten. Sie kam zum Ergebnis, dass er wohl nicht der schnellste und entscheidungsfreudigste Richter sei. Immerhin, so die Präsidentin, hätte er in einem Jahr weniger Verfahren erledigt als sein halbtags tätiger Kollege. Das Arbeitstempo sei daher dem einer lahmen Ente gleichzusetzen. Das sei nicht vertretbar. Im Januar 2012 ermahnte sie den Richter (bitte merken Sie sich das Datum, Sie werden es nachher noch benötigen). Der ermahnte Richter hielt sich für schnell genug. Er setzte sich zur Wehr. Aufforderungen zu einer zügigeren Arbeitsweise verletzten ihn, so sein Argument, in seiner richterlichen Unabhängigkeit, und liefen letztlich darauf hinaus, dass man in seine unabhängige Rechtsprechung hineinreden wolle.
Der Fall landete 2012 vor dem Dienstgericht für Richter. So nennt man das Gericht, das über derartige Streitigkeiten eines Richters urteilen darf oder besser muss. Zuständig war das Landgericht in Karlsruhe. Das dortige Dienstgericht besteht aus drei Berufsrichtern. Das LG Karlsruhe entschied, dass die Ermahnung der Präsidentin berechtigt gewesen sei. Der ermahnte Richter legte Anfang 2013 Berufung ein. Die Reise ging weiter. Zum Dienstgerichtshof für Richter am OLG in Stuttgart. Der dortige Dienstgerichtshof besteht aus fünf Berufsrichtern. Nach knapp zweieinhalb Jahren, nämlich am 17.4.2015, bestätigte das OLG die landgerichtliche Entscheidung. Der Richter akzeptierte auch diese Entscheidung nicht.
Im selben Jahr, nämlich 2015 ging’s dann folgerichtig weiter zum Bundesgerichtshof. Das dortige Dienstgericht besteht ebenfalls aus fünf Berufsrichtern. Der BGH vertrat die Ansicht, dass ein Oberlandesrichter zwar überprüft und in berechtigten Fällen auch grundsätzlich ermahnt werden dürfe, wenn er tatsächlich zu langsam arbeite. Denn das Vorhalten von Rückständen und die Ermahnung, künftig bitte unverzögert zu arbeiten, sei eben noch kein Eingriff in die Unabhängigkeit eines Richters. Der mit der Ermahnung verbundene Erledigungsdruck sei aber dann ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit, wenn man von dem Richter ein Arbeitspensum verlange, dass auch andere Richter nicht mehr sachgerecht bewältigen könnten. Und um das festzustellen, müsse die Vorinstanz den gesamten Fall nochmals genau prüfen. Und zwar genauer als bisher. Also genauer als genau. Am besten genauestens, denn wenn schon, denn schon.
Mittlerweile haben sich, wenn meine Vermutungen zutreffen und ich richtig gezählt habe, 13 (dreizehn!) Berufsrichter mit dem Fall beschäftigt. Sie sehen, auch Richter stehen durchaus unter einem gewissen Erfolgs- und Arbeitsdruck. Was mich an dem Fall jedoch ratlos zurücklässt: Die Ermahnung der Präsidentin des OLG erfolgte, na wissen Sie's noch? Richtig: Im Januar 2012. Etwas mehr als fünfeinhalb Jahre später, nämlich im September 2017, ist man, nachdem sich 13 (dreizehn!) Berufsrichter mit der Sache befasst haben, endlich soweit, dass man weiß, worauf die Richter am Dienstgericht bzw. Dienstgerichtshof bei ihrer erneuten Entscheidung zu achten haben. Bei gleichbleibender Geschwindigkeit der Spruchkörper könnte es demnach sein, dass der ermahnte Richter vielleicht irgendwann zwischen 2019-2023 Gewissheit hat, ob die Ermahnung aus 2012 berechtigt war oder nicht. Vielleicht ist er dann sogar schon in Pension? Mit Schnelligkeit scheint mir das, was die Instanzen da an den Tag gelegt haben, ebenfalls nicht besonders viel gemeinsam zu haben. Oder wie sehen Sie das?
Für Interessierte:
LG Karlsruhe 04.12.2012 - RDG 6/12
BGH 07.09.2017 – RiZ (R) 2/15
Buchtipp:
Deutschstunde von Siegfried Lenz (gibt es auch als Film)
Sooo viele Akten ............ machen mich ganz müde
© am Text und Bild: Detlef Wendt