30. KW 2018
Nischenprodukte sind eher für Randgruppen gedacht. Manchmal sind Randgruppen größer, als man denkt: Demokraten in den USA. Heterosexuelle Priester. Toupet-Träger. Oder die Leserschaft von Dynamit und DWJ. Kennen Sie nicht? Ich kläre Sie gerne auf:
Im April 2018 erfuhr ich von meinem Buchverlag, dass ein Magazin namens „Dynamit“ mein Buch „Auf hoher See und vor Gericht“ in der Ausgabe Juni 2018 als „Tipp des Monats“ empfehlen werde. Ich war hocherfreut. Allerdings, Dynamit? OK, den Sprengstoff, den kannte ich. Aber eine Zeitschrift mit diesem Namen? Keinen Schimmer, nie davon gehört. Ich gurgelte. Ich stellte fest, Dynamit ist ein Männermagazin. Männermagazin? Mir fiel der Playboy ein.
Mein Verlag hatte mir ferner mitgeteilt, dass die monatliche Auflage des Magazins "Dynamit" bei 130.000 Exemplaren liege. Nicht schlecht, dachte ich, es gibt offenbar mehr Leser von Dynamit als Einwohner von Recklinghausen. Und merkwürdig, dachte ich, theoretisch liest jeder zweite Aachener oder Augsburger Dynamit, nur ich Trottel hatte die Zeitschrift offenbar noch nie irgendwo bemerkt. Das Internet brachte Erkenntnis: Dynamit steckt in der Regel in Zeitschriftenregalen von Tankstellen. Kein Wunder, dass ich noch nie davon gehört hatte. Tankstellen nutze ich, um zu tanken.
Vor meinem geistigen Auge tauchte die typische Leserschaft von Dynamit auf: Einsame, abgekämpfte Fernfahrer, wochenlang weg von zu Hause, nur der Truck, die Straße und sie. Und mein Buch. Ich stellte mir vor, wie sie an Lagerfeuern von Rastplätze saßen, in der Linken ein saftiges Kotelett und in der Rechten mein Buch, und auf Seite 88 die Entscheidung des Amtsgerichts Westerstede lasen, dass ein Mieter höchstens zehnmal im Jahr grillen dürfe. Und stellte mir vor, dass sie lieber dort am Lagerfeuer saßen, als sich von einem durchgeknallten Wohnungsnachbarn beschimpfen zu lassen, man hätte seine 10 Grilltage in diesem Jahr schon hinter sich, und man solle gefälligst sofort den Grill ausmachen, sonst hätte der Arsch Kirmes.
Der Verlag hatte mir als Erscheinungsdatum von "Dynamit" den 17.05.2018 genannt. An diesem Tag fuhr ich erwartungsvoll zu einer Tankstelle mit vermutetem großen Literaturbestand. Gleich zwei Exemplare wollte ich ergattern, eines für mich zum Lesen der Buchkritik, das zweite zum Angeben, damit meine Enkel noch in 50 Jahren sehen könnten, was für ein toller Hecht ihr Großvater einst gewesen ist. Im recht dünn besiedelten Zeitschriftenregal der Tankstelle steckten gleich drei Hefte "Dynamit". Ich nahm mir zwei, ging festen Schrittes zur Kasse und legte beide Exemplare so auf die Ladentheke, dass die Kassiererin, die typenmäßig komplett anders rüberkam als die Protagonistinnen von "Dynamit", deren respektable Busen nicht übersehen konnte. Angewidert warf sie zuerst einen Blick auf die Zeitschrift und dann auf mich. „Soll’s dazu noch ein Kaffee sein“? fragte sie schroff und schaute mich dabei an, als wolle sie mir sagen, Mannomann, müssen Sie das aber nötig haben! „Nein danke“, antwortete ich ruhig und mit einer Gelassenheit, die mich selbst überraschte, „die beiden Zeitungen reichen mir völlig.“ „11,80 €“, presste sie aus ihrem Mund hervor. Ich zahlte und ging, wobei ich ihren Blick in meinem Rücken zu spüren glaubte.
Zwei Monate später, im Juni 2018 erfuhr ich von meinem Buchverlag, dass ein Magazin für Waffenbesitzer namens „DWJ“ mein Buch in der Ausgabe Juni 2018 empfohlen habe, Auflage 29.000 Exemplare. Ich war hocherfreut. Allerdings, DWJ? Was bedeutete das? Der Waffenbesitzer und Jäger? Deutsche Wahnsinnsjäger? Der wahnsinnige Jäger? Ich hatte keinen Schimmer und auch von dieser Zeitschrift noch nie etwas gehört. Tankstellenregalen traute ich dieses Magazin eher nicht zu. Ein Besuch in der Bahnhofsbuchhandlung meines Vertrauens brachte Licht ins Dunkel. DWJ heißt „Deutsches Waffenjournal“. Mein Buch also zwischen Präzisionswaffen und scharfen Girls aus dem Osten. Ich atmete auf. Offensichtlich hatte ich es geschafft und meine Zielgruppe gefunden: Bewaffnete Fernfahrer.
Musiktipp:
Love, fear and the time machine von Riverside
Ich fahre supergerne Auto. Aber immer angeschnallt. Und unbewaffnet.
© am Text: Detlef Wendt
© am Bild: Madeleine Dox