Der 13. Wendt der Woche: Gleichbehandlung - Mit Foto + Filmtipp

35. KW 2018

  

Warum behandeln manche Menschen ihre Mitmenschen willkürlich ungleich, nur weil sie „anders“ sind? Und das nicht nur in den USA oder der Türkei, sondern auch in Deutschland? Liegt das an der Erziehung? An den Medien? Am Gehirnschwund? Schon seit meiner Kindheit unterscheide ich lediglich zwei Arten von Menschen: Arschlöcher und Nicht-Arschlöcher. Klappt prima. Könnte vielleicht auch bei Vermietern funktionieren:

 

Stellen Sie sich vor, Sie besitzen ein Zweifamilienhaus. Sie wollen eine Wohnung vermieten. Sie können es aber nicht mit jedem. Sie entschließen sich zu folgendem Inserat:

 

„Wohnung an gesunden, jungen, ledigen Bayern zu vermieten. Nichtraucher, Messdiener und praktizierender Katholik aus ordentlichem Elternhaus bevorzugt. Veganer, Grünen-Wähler, Scientologe, Homosexueller oder Nazi zwecklos. Chiffre ABC123.“

 

Bevor Sie weiterlesen, überlegen Sie bitte, was Sie selbst als diskriminierend empfinden und daher weggelassen würden. Schreiben Sie Ihren Vorschlag auf. Sie müssen Ihren Text ja niemandem vorlesen. Sollten Sie das allerdings tun, dann seien Sie bitte darauf gefasst, dass Ihr Gegenüber einen Einblick in Ihre Psyche erhält. Wie ticken Sie? Wie stehen Sie bayerischen Veganern gegenüber? Oder katholischen Scientologen? Oder schwulen Nazis?

 

Unser Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz enthält mehrere Differenzierungsmerkmale (z.B. Ethnie, Geschlecht, Behinderung). Grundsätzlich darf niemand deswegen benachteiligt werden. Differenzierungsmerkmale? Ein ganz heikles Thema. Selten ist Fingerspitzengefühl so gefragt wie hier. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist ein Fall des Landgerichts Aachen. In zweiter Instanz war das OLG Köln zuständig. Das eine Urteil ist spannender als das andere. Zuerst fiel mir bei der Lektüre auf, dass die Richter offensichtlich keine Ahnung hatten, in welcher Stadt sich der Vorfall ereignete. Man wusste nur: Deutschland. Wieso? Nun, der erste Satz des Urteils des LG Aachen lautet: „Der Beklagte ist Inhaber einer in Aachen ansässigen Immobilienverwaltung.“ Aus dem anschließenden Text ergibt sich, dass die Kläger einen Besichtigungstermin für eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Aachen hatten.

 

Dagegen heißt es im ersten Satz des Urteils des OLG Köln: „Der Beklagte betreibt eine gewerbliche Wohnungsverwaltung in B.“  Aus den folgenden Sätzen wird deutlich, dass die Kläger sich um eine Wohnung in B. beworben haben. Jetzt haben wir den Salat. Wie kann das sein? Eingemeindung? Annexion? Namensänderung? Flüchtigkeitsfehler? Schlampigkeit? Unwissenheit? Schreibfehler? Mehrmals derselbe? 

 

In beiden Urteilen steht übereinstimmend, die Kläger seien afrikanischer Herkunft, ohne allerdings das genaue Herkunftsland zu nennen. Aber Afrika ist ja auch riesengroß, und bevor man mit den ganzen Ländern durcheinanderkommt.... Alle Richter waren sich ferner darüber einig, dass die Kläger eine dunkle Hautfarbe hatten. Die Kläger (zur Erinnerung: das waren die Menschen aus irgendeinem afrikanischen Land mit dunkler Hautfarbe) hatten mit einer Mitarbeiterin der Beklagten (zur Erinnerung: das war die Hausverwaltung aus A. oder B.) einen Besichtigungstermin für eine Wohnung in A. (oder B.) vereinbart. Und zwar telefonisch. Von der Verwaltung wusste niemand, dass die Kläger eine dunkle Hautfarbe hatten. Offensichtlich sprachen die Kläger, oder zumindest derjenige, der telefoniert hatte, perfekt deutsch. Oder die Mitarbeiterin der Hausverwaltung hatte nicht so genau hingehört, weil sie noch damit beschäftigt war, herauszufinden, ob ihr Arbeitsplatz jetzt in A. oder in B. lag. Die Besichtigung, so wurde den Klägern gesagt, sollte von einer im Objekt wohnenden Hausmeisterin durchgeführt werden. Die Kläger fuhren zum vereinbarten Termin nach A. Oder nach B., das ist ja nach wie vor unklar. Jedenfalls klingelten sie an der ihnen beschriebenen Klingel des Hauses. Die Hausmeisterin öffnete. Ob sie angesichts der dunklen Menschen vor ihrer Tür erschrak, ist nicht überliefert, allerdings auch nicht so ganz unwahrscheinlich, denn sie soll in diesem Augenblick gesagt haben „Die Wohnung wird nicht an Neger, äh … Schwarzafrikaner und Türken vermietet.“ Und dann wird sie vermutlich den Klägern die Tür vor der Nase zugeschlagen haben. Rums!

 

Die Kläger (zur Erinnerung: das waren die Menschen aus irgendeinem afrikanischen Land mit dunkler Hautfarbe) verlangten jetzt von der Hausverwaltung aus A. (oder aus B.?) Schadensersatz, Schmerzensgeld und Auskunft über den Eigentümer der Wohnung, also Name und Anschrift. Wobei nicht eindeutig überliefert ist, ob sie den Anspruch geltend gemacht haben, weil man sie als „Neger“ bezeichnete, oder mit Türken verwechselte, oder weil man ihnen die Wohnung nicht zeigen und damit jedenfalls auch nicht vermieten wollte. Das Landgericht Aachen hat die Klage abgewiesen. Warum? Nun, das LG Aachen war der Auffassung, der Hausverwalter selbst habe nichts Unflätiges gesagt. Und für das Verhalten seiner Hausmeisterin könne er auch nichts. Und schließlich der Eigentümer? Ja, was habe denn der Eigentümer damit zu tun? Richtig, weniger als nichts, nämlich überhaupt gar nichts! Die Kläger legten Berufung ein. Das OLG Köln hat dieses Urteil in zweiter Instanz erfreulicherweise korrigiert und den Klägern die geltend gemachten Ansprüche zuerkannt.  Allerdings blieb nach wie vor ungeklärt, wer hier etwas gegen „Neger, äh … Schwarzafrikaner und Türken“ hatte. Der Eigentümer? Und/oder der Hausverwalter? Oder sogar und/oder die Hausmeisterin?  

 

Noch ein Beispiel für borniertes Verhalten eines Vermieters? Gerne:

 

Schauen wir uns ein Urteil des Amtsgerichts Berlin–Tempelhof-Kreuzberg an. Dem Urteil entnehme ich folgenden Sachverhalt: Ein Vermieter hat mehrere Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen. Die Mieter stammen aus unterschiedlichen Ländern. Einigen Mietern schickt er Mieterhöhungsschreiben. Unter anderem auch den späteren Klägern, die türkischer Herkunft sind. Andere Mieter arabischer Herkunft bekommen ebenfalls Mieterhöhungsverlangen zugeschickt. Mieter deutscher oder mitteleuropäischer Herkunft erhalten ..., na? Richtig! Keine. Warum nicht? Keine Ahnung, vielleicht hat der Vermieter deren Adressen gerade nicht parat?

 

Der türkische Mieter empfindet es bereits als schön blöd, dass er überhaupt eine Mieterhöhung bekommt. Noch wesentlich schöner blöd findet er, dass offenbar nur Türken oder Araber mit Mieterhöhungen beglückt werden. Er wehrt sich dagegen wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Der Amtsrichter in Berlin findet all das irgendwie besonders extrem schön blöd. Deshalb verurteilt er den Vermieter zur Zahlung eines Entschädigungsbetrages von 15.000 €. An jeden der Kläger. Ein wundervoll schön blöder Betrag, der auch betuchteren Vermietern weh tun dürfte. Amtsgericht Berlin–Tempelhof–Kreuzberg? Prima Gericht. Noch Fragen, Euer Ehren?

 

Zum Schluss möchte ich auf das Rätsel vom Anfang zurückkommen. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Sie sind unsicher? Kann ich gut verstehen. Sollten Sie einmal ein Inserat aufgeben müssen, fragen Sie doch Ihren Anwalt. Vielleicht hat der eine Lösung. Mein Favorit für ein Inserat? Kann ich Ihnen sagen: „Wohnung zu vermieten. Arschlöcher (m/w) zwecklos. Chiffre ABC123.“ 

 

Für Interessierte:

LG Aachen 17.3.2009 - 8 O 449/07

OLG Köln 19.1.2010 - 24 U 51/09

AG Berlin–Tempelhof-Kreuzberg 19.12.2014 - 25 C 357/14

Filmtipp:

L.A.Crash von Paul Haggis

 

14 WdW Arschlöcher langweilen mich

Arschlöcher langweilen mich

 

© am Text: Detlef Wendt

© am Bild: Madeleine Dox