Der 28. Wendt der Woche: Rechtsschutzversicherung - Mit Foto + Filmtipp

50. KW 2018

 

Die Franzosen sollen Anfang des 20. Jahrhunderts die Rechtsschutzversicherung erfunden haben. Respekt, es ist also nicht alles Käse, was die Franzosen produzieren. Wir haben sie mittlerweile übernommen und wahrscheinlich zur Vollkommenheit geführt. Gelegentlich kann Perfektion aber auch Angst einjagen: 

 

Der Vermieter einer Wohnung erhöht die monatliche Miete um 120 €. Sein Mieter akzeptiert freiwillig eine Erhöhung von 40 €. Das gefällt dem Vermieter nicht. Er will die vollen 120 €, verklagt den Mieter und verlangt zu den akzeptierten 40 € weitere 80 € monatlich.

 

Der Amtsrichter spricht dem Vermieter weitere 22 € monatlich zu. Ein nahezu ausgeglichenes Ergebnis: Statt der geforderten 120 € soll der Mieter 62 € (akzeptierte 40 € plus verurteilte 22 €) zahlen. Das wiederum gefällt dem Mieter nicht. 40 € seien ok, sagt er, mehr aber nicht. Wegen der weiteren 22 €, die er zahlen soll, legt er Berufung ein.

 

Die drei Richter am Landgericht finden das Urteil des Amtsrichters im Grunde genommen ganz passabel. Sie weisen die Berufung des Mieters daher zurück. Aber sie haben zwiespältige Zweifel, hegen Argwohn ob ihres eigenen Richterspruchs und stellen ihn nach eingehender Analyse argwöhnisch in Frage. Denn die dem Fall zu Grunde liegende Rechtsfrage sei so unglaublich verzwickt, unvorstellbar diffizil und in allerhöchstem Maße kompliziert, dass sie als einfache Richter am Landgericht fachlich gar nicht in der Lage seien, diese Frage korrekt und abschließend zu beantworten. Es sei daher angebracht und folgerichtig, wenn auch die Richter am Bundesgerichtshof ihren Karlsruher Senf dazu geben könnten. Quasi vorsorglich, nur um Fehler auszuschließen. Deshalb lassen sie die Revision zu. Immerhin geht es um eine knifflige und mysteriöse Rechtsfrage. Die den Landrichtern nicht geheuer war. Und es geht um 22 €. Monatlich.

 

Der Mieter legt Revision beim Bundesgerichtshof ein. Die fünf Richter am Bundesgerichtshof finden das Urteil des Amtsrichters ebenfalls ganz passabel. Und halten die Rechtsfrage weder für verschwurbelt noch für rätselhaft, eher für popelig und kinderleicht. Sie weisen die Revision des Mieters ruckzuck, quasi aus dem Handgelenk, zurück. Dieser muss letztlich also 62 € (akzeptierte 40 € plus verurteilte 22 €) monatlich mehr zahlen. Vielleicht erinnern Sie sich: Hatte der Amtsrichter bereits gesagt. Aber manchmal ist es besser, eine zweite Meinung einzuholen. Und zur Sicherheit noch eine dritte. Denn wer glaubt schon einem kleinen Amtsrichter? 

 

PS: Haben Sie mitgezählt? 9 Richter. Neun. Zur Sicherheit nochmal: Neun Richter. Für 22 € monatlich. Respekt. Ich frage mich in solchen Fällen: Wie strapazierfähig ist unser Rechtsstaat? Musste der Mieter wirklich jeden Euro umdrehen? Dann - und nur dann - könnte ich sein Verhalten absolut nachvollziehen. Oder hat er alle drei Instanzen nur deshalb in Anspruch genommen, weil er eine Rechtsschutzversicherung hatte? Oder ging es ihm nur ums so genannte Prinzip, das Prinzip des Rechthabens? Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich: Es muss ein wunderbarer Staat sein, der uns das alles ermöglicht!

 

Für Interessierte:

BGH 15.3.2017 - VIII ZR 295/15

 

Filmtipp:

Inside Llewyn Davis von den Coen-Brüdern

 

28 WdW Ein Prosit auf unseren Rechtsstaat

Ein Prosit auf unseren Rechtsstaat

 

© am Text: Detlef Wendt

© am Bild: Sabine Czudaj-Wendt