Der 29. Wendt der Woche: Gewaltfreiheit - Mit Foto + Filmtipp

51. KW 2018

 

Der Wendt dieser Woche geht an die Gewaltfreiheit und ist allen sinnlosen Opfern in der Justiz gewidmet. Gewaltfreiheit ist einer der Grundpfeiler eines demokratischen Rechtsstaates. Gewaltfreiheit erfordert Mut, Respekt und Verstand. Und Verständnis und Akzeptanz unserer rechtsstaatlichen Regeln. Und sie erfordert ...

 

Toleranz. Toleranz gibt's übrigens auch in der Physik. Dabei weicht etwas vom Normzustand ab, allerdings so geringfügig, dass es die Funktion des Systems nicht beeinträchtigt. Nebenbei: Wie viele Physiker kennen Sie? Mir fällt unsere Kanzlerin ein. Dann Albert Einstein. Und Stephen Hawking. Welchen Grund hätte es wohl geben können, Herrn Hawking auf Grund seiner Berufsausübung die Kehle aufzuschlitzen? Richtig: Keinen. Auch wenn er zu der Erkenntnis gelangt wäre, dass das Weltall voller bunter Löcher sei, warum bitteschön hätte man ihm das verübeln sollen? Eben. Merke: Entscheidungen von Physikern haben selten unmittelbar spürbare Auswirkungen. 

 

Ganz anders bei Juristen. Apropos: Wie viele Juristen kennen Sie? Ich vermute, wesentlich mehr als Physiker. Der Bundestag ist voll davon. Ihre Entscheidungen haben oft unmittelbar spürbare Auswirkungen. Anwälte und Gerichtsverfahren kosten Geld. Bei schlechten Anwälten oder Richtern kann nicht nur das Geld weg sein, sondern sogar die Wohnung, der Führerschein oder die Freiheit. In manchen Staaten sogar das Leben.

 

Was würden Sie sagen, wenn Ihre Frau, mit der Sie Ihrer Ansicht nach bislang eine Bilderbuchehe geführt haben, morgen ohne Ankündigung auszöge, die Scheidung einreichte und das alleinige Sorgerecht für Ihr Kind beantragte mit der - unterstellt, gelogenen und damit objektiv falschen - Begründung, Sie hätten ihr und dem gemeinsamen Kind gegenüber häusliche Gewalt ausgeübt? Und wie würden Sie sich fühlen, wenn der zuständige Richter Ihnen daraufhin verböte, sich Frau und Kind mehr als 50 m zu nähern? Würden Sie sagen: "Prima, endlich ist die Olle mit dem Blag weg, das erspart mir wenigstens die Suche nach einem Auftragskiller?" Oder würden Sie sagen: "Halt, was ist denn da los, das kann doch nicht sein, Entschuldigung, ich verstehe die Welt nicht mehr?" Und gegen wen würde sich Ihr Zorn richten? Gegen Ihr eigenes Kind? Sicher nicht. Gegen Ihre Frau? Schon eher. Gegen den Richter? Ganz sicher. Denn der hat’s verbockt. Der hat das Verbot ausgesprochen. Der hätte doch erkennen müssen, dass das Ganze eine Lüge war! 

 

Und was macht der der Heißblütige, der Durchgeknallte, der Verzweifelte, der Hemmungslose, der Fanatiker in solchen Fällen bedauerlicherweise mitunter? Setzt er sich zu dem Richter in die Gerichtskantine und versucht, bei einem gemeinsamen Mettbrötchen mit Zwiebeln den Richter mit sanften Worten davon zu überzeugen, dass seine Ehefrau eine verlogene Schlampe sei und in die Geschlossene gehöre? Nein, leider nicht. Er weiß sich in Einzelfällen aus unerklärlichen Gründen nicht anders zu helfen als Gewalt auszuüben. Nur weil er nicht einsieht oder gelernt hat, rechtsstaatliche Methoden zu akzeptieren. Und gerade deswegen leben Juristen, insbesondere Richter, aber auch Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher gefährlicher als Physiker oder Gehirnforscher. Beispiele? Gerne, obwohl es mir weitaus lieber gewesen wäre, es hätte all diese Beispiele nicht gegeben:

  

09. März 1994: Am Amtsgericht Euskirchen steht ein Mann vor Gericht, dem vorgeworfen wird, seine Freundin brutal verprügelt zu haben, weil sie seine sexuellen Wünsche nicht erfüllen wollte. Er wird zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Unmittelbar darauf erschießt er den Richter und sechs weitere Personen. Anschließend sprengt er sich selbst in die Luft. Der Täter konnte die Waffe ungehindert in den Gerichtssaal nehmen. Sicherheitskontrollen gab es am Amtsgericht Euskirchen nicht.

 

23. Januar 1995: Am Amtsgericht Kiel ersticht ein Mann eine Richterin in ihrem Dienstzimmer. Er ist mit einer Entscheidung des Gerichtes nicht einverstanden, die das Sorgerecht seines Sohnes betrifft. Es stellt sich anschließend heraus, dass die ermordete Richterin mit seinem Fall gar nicht zu tun hatte. Der Täter konnte die Waffe ungehindert in das Gerichtsgebäude mitnehmen. Sicherheitskontrollen gab es am Amtsgericht Kiel nicht.

 

07. Mai 1998: Am Amtsgericht Essen erschießt ein Mann einen Richter in dessen Dienstzimmer mit mehreren Schüssen, bevor er sich selbst das Leben nimmt. Tatmotiv war eine vorherige Verurteilung des Täters durch den getöteten Richter. Der Richter hatte den Täter zu einer geringen Geldstrafe verurteilt. Der Täter konnte die Schusswaffe am Tattag ungehindert in das Gerichtsgebäude mitnehmen. Sicherheitskontrollen gab es am Amtsgericht Essen nicht.

 

11. Januar 2012: Am Amtsgericht Dachau findet eine Strafverhandlung statt. Angeklagt ist ein Mann. Ihm wird zur Last gelegt, Gelder veruntreut zu haben. Nach der Beweisaufnahme folgt das Plädoyer des Staatsanwaltes, anschließend das Urteil: 1 Jahr auf Bewährung. Der Richter liest die Urteilsgründe vor. Der Verurteilte zieht eine Pistole aus der Tasche und schießt auf den Staatsanwalt, der später seinen Verletzungen erliegt. Der Verurteilte schießt auch auf den Richter, den er jedoch verfehlt. Der Täter konnte die Waffe ungehindert in den Gerichtssaal nehmen. Sicherheitskontrollen gab es am Amtsgericht Dachau nicht.

 

04. Juli 2012: Bei der Zwangsräumung einer Eigentumswohnung erschießt der Bewohner den Gerichtsvollzieher. Dann den Schlosser, der die Tür öffnen sollte und danach den neuen Eigentümer der Wohnung. Anschließend richtet sich der arbeitslose Täter selbst. Im Vorfeld gab es keinerlei Hinweise, dass es zu einer derartigen Wahnsinnstat kommen könnte. Daher hat der Gerichtsvollzieher keine Veranlassung gesehen, zu dem Zwangsräumungstermin die Polizei hinzuzuziehen.

 

Unter anderem diese Fälle haben die Justizminister der Länder dazu veranlasst, Sicherheitskontrollen in Gerichtsgebäuden durchzuführen, ähnlich wie auf Flughäfen. Hätte es diese Kontrollen schon in den achtziger Jahren gegeben, wäre wohl auch der bekannteste Fall von Selbstjustiz in Deutschland verhindert worden:  Am Landgericht Lübeck erschießt Marianne B. am 06.03.1981 den Angeklagten, der ihre siebenjährige Tochter umgebracht und den Mord bereits gestanden hat. Sie wird später wegen der Tat zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die Täterin konnte die Waffe ungehindert mit in den Gerichtssaal nehmen. 

 

Sollten Sie irgendwann einmal ein Gericht aufsuchen müssen, sei es als Kläger, Zeuge oder auch nur, weil Sie aus der Kirche austreten möchten, lassen Sie bitte Aggressionen und Alkohol zu Hause. Und nehmen Sie sich genügend Zeit mit. Tragen Sie bitte keine Waffen oder waffenähnliche Gegenstände wie Nagelschere oder Schraubenzieher bei sich. Ich frage mich sowieso, was Sie damit bei Gericht wollen. Maniküre macht man besser zu Hause, und lockere Schrauben haben Richter extrem selten.  

 

Filmtipp:

Babel von Alejandro González Iñárritu 

 

18 WdW Gewaltfreiheit + Toleranz

Ohne Worte

 

© am Text: Detlef Wendt

© am Bild: Sabine Czudaj-Wendt