Der 19. Wendt der Woche: Der richterliche Hinweis - Mit Foto + Buchtipp

41. KW 2018

 

Richter sollen auf Ausgewogenheit achten. Dementsprechend können sie verpflichtet sein, Hinweise zu erteilen. Dadurch soll verhindert werden, dass jemand eine eigentlich sichere Klage nur deshalb verliert, weil sein Vortrag unvollständig oder sein Antrag falsch ist. Dann darf er Anträge korrigieren oder ergänzend vortragen. Verrückt wird es allerdings, wenn der richterliche Hinweis falsch ist. Kann nicht sein, sagen Sie? Da wäre ich mir nicht so sicher:

 

Vor einigen Jahren hatte ich einen recht schwierigen Fall zu bearbeiten. Auch mein Klageantrag machte mir Sorge. Ich schrieb verschiedene Anträge auf und wog sie gegeneinander ab. Und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Antrag Nummer 1 war super! In meinem Hinterkopf blieb eine winzige Unsicherheit. Doch wofür hat man verlässliche Kollegen/innen? Ich fragte sie unabhängig voneinander. Alle waren davon überzeugt, dass Antrag Nummer 2 richtig sei. Ich zweifelte kurz, dachte erneut nach, wog beide Anträge gegeneinander ab und kam zu einem überzeugenden Ergebnis: Antrag Nummer 1 war spitzenmäßig! Warum hatte ich Hornochse überhaupt gefragt? Dickköpfig wie ich bin, nahm ich Antrag Nummer 1 in meine Klageschrift auf.

 

In der Gerichtsverhandlung fragte mich die Amtsrichterin, warum ich ausgerechnet diesen Antrag gestellt hätte. Ich erläuterte ihr meinen Gedankengang. Sie war sichtlich beeindruckt, hielt meine Überlegungen für grandios, aber falsch. Sie empfahl mir, einen anderen Antrag zu stellen, und zwar exakt den, den meine Kollegen/innen bevorzugt hatten: Antrag Nummer 2. Meinen favorisierten Antrag Nummer 1 sollte ich am besten komplett fallen lassen. Ich zweifelte kurz, dachte nochmals nach, wog beide Anträge gegeneinander ab und kam zu einem überzeugenden Ergebnis: Antrag Nummer 1 war Weltklasse!

 

Würde ich den jetzt allerdings stellen, würde die Richterin meine Klage abweisen. Watt nu? Ich bedankte mich bei der Richterin freundlich für den Hinweis, sagte aber ebenso freundlich, dass ich meinen Antrag Nummer 1 nach wie vor für korrekt hielt. Weil ich aber keine Klageabweisung riskieren wollte, stellte ich nun zwei Anträge: Hauptsächlich den von der Amtsrichterin und meinen Kollegen/innen favorisierten Antrag Nummer 2, zusätzlich hilfsweise meinen Superspitzenantrag Nummer 1.

 

Die Richterin war zufrieden. Meiner Klage mit dem Antrag Nummer 2 wurde stattgegeben, ich gewann den Prozess. Die Gegenseite legte Berufung ein. Die Berufungskammer des Landgerichtes hielt das Urteil im Ergebnis für richtig, meinte jedoch, ich hätte den falschen Klageantrag gestellt. Richtig sei einzig und allein mein Weltklasseantrag Nummer 1! Ich war froh, dass ich den Antrag Nummer 1 nicht komplett habe fallen lassen, sondern weiterhin gestellt habe, wenn auch hilfsweise. Ich fragte das Berufungsgericht, was passiert wäre, wenn ich den Hinweis der Amtsrichterin befolgt und ausschließlich Antrag Nummer 2 gestellt hätte. Der Vorsitzende Richter der Berufungskammer hob freundlich lächelnd die Schultern und meinte, das wisse er auch nicht, aber zum Glück käme es darauf ja nicht an.

 

Was ich Ihnen damit sagen will? Dickköpfigkeit ist nicht per se negativ. Und: Niemals blind Hinweisen vertrauen, egal von wem sie kommen. Die Verantwortung für Ihr Handeln haben stets Sie. Das ist auch gut so.

 

Buchtipp:

Mein Herz so weiß von Javier Marias

 

19 WdW Wo war nochmal der richtige Weg 

Entschuldigung, wo geht's lang? Lechts oder rinks?

 

© am Text: Detlef Wendt

© am Bild: Sabine Czudaj-Wendt