Der 14. Wendt der Woche: Glastüren in Glaswänden - Mit Foto + Musiktipp

36. KW 2018

 

Der Wendt der Woche geht an Glastüren in Glaswänden. Sie sind eher unauffällig und daher leicht zu übersehen. Vielleicht wie Luft in der Atmosphäre? Oder Bäume in Wäldern? Oder Vernunft bei amerikanischen Schmerzensgeldprozessen? Oder Gehirne bei Juristen? Oder bei Hoteliers?

 

In Amerika kann ein gewonnener Schmerzensgeldprozess aus einem Tellerwäscher und/oder einem Anwalt schnell mal einen Millionär machen. Gelegentlich liest man davon: Ein Trottel kauft heißen Kaffee im Becher. Er trinkt und verbrüht sich die Zunge. Die Zunge bekommt Bläschen. Das Schlucken tut weh. Der Trottel verklagt den Kaffeeverkäufer. Weil der vergaß, darauf hinzuweisen, dass heißer Kaffee heiß sei. Und er verklagt gleichzeitig den Becherhersteller. Weil der vergaß, auf den Becher zu schreiben, dass heißer Kaffee heiß sei. Und, so kommt es mir zumindest manchmal vor, da der amerikanische Durchschnittsbürger scheinbar behämmert ist, muss der Verkäufer ihm mehrmals laut und deutlich sagen: "Heißer Kaffee ist heiß." Und der Becherhersteller muss es ihm auf den Becher schreiben. Mit einem einfachen Text wie „Ich weiß, ich weiß, Kaffee ist heiß!“. Und ein Piktogramm draufmalen. Damit die Zunge keine Bläschen bekommt. Ansonsten spricht ein Gericht dem Trottel mit etwas Glück, einem geschickten Anwalt und einem Beutel Feenstaub ein paar Milliönchen Taler Schmerzensgeld zu.

 

Das Oberlandesgericht Schleswig musste sich nicht mit heißem Kaffee, sondern mit einer Glastür in einer Glaswand beschäftigen: Eine betagte Dame (86 Jahre alt) bucht ein Zimmer in einem Hotel. Der Eingangsbereich besteht aus einer großen gläsernen Wand. In dieser gläsernen Wand befindet sich eine Drehtür aus Glas. Nachdem die Dame drei Tage lang in dem Hotel logiert, verletzt sie sich am vierten Tag bei dem Versuch, das Hotel über die Glastür zu betreten. Sie verlangt vom Hotelier Schadensersatz und Schmerzensgeld. Sie meint, der Hotelier habe die Tür nicht ausreichend kenntlich gemacht. Der Hotelier versteht das nicht, denn immerhin hat die Frau ja schon mehrere Tage erfolgreich und verletzungsfrei das Hotel verlassen und wieder betreten. Jetzt sind Sie dran. Wer hat recht? Derjenige, der gegen Glastüren rennt? Oder derjenige, der sie in Glaswände einbaut?

 

Das Landgericht Lübeck gab in erster Instanz dem Hotelier recht. Das Oberlandesgericht Schleswig als zweite Instanz der Hotelgästin, mit folgender Begründung:  Baut ein Hotelier eine gläserne Drehtür in eine gläserne Wand ein, muss er die Tür in Augenhöhe auf beiden Seiten deutlich markieren. Der Gast muss leicht erkennen können, wo sich die Öffnung der Tür befindet. Das hat der Hotelier nicht gemacht. Damit hat er gegen seine Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Nach drei Tagen Anwesenheit im Hotel war die Tatsache für die Dame aber nicht neu oder überraschend. Daher, so das OLG, treffe sie ein Mitverschulden. Ergebnis: Beide haben Schuld.

 

Unabhängig davon, ob man dem Oberlandesgericht folgen möchte oder nicht, wirft das Urteil einige wichtige Fragen auf. Der Hotelier, so das Gericht, muss die Tür auf Augenhöhe deutlich markieren. Was heißt das: Deutlich? Und was heißt das: Auf Augenhöhe? Ich bin 1,80 m groß. Meine Augen befinden sich 1,65 m vom Fußboden entfernt. Wenn Danny de Vitos Augen sich auf gleicher Höhe befinden sollen, müsste er auf einer Haushaltsleiter stehen. Und Dirk Nowitzkis Augen liegen schätzungsweise bei 2,00 m. Ohne Leiter!

 

Soll der Hotelier jetzt den Glastürbereich in einer Höhe von 1,00 m - 2,00 m markieren? Also etwa 50 % der Gesamtfläche? Oder muss die Markierung nur den Bereich des Durchschnittsbürgers betreffen, also 1,40 – 1,70 m? Wenn ja, wären Danny de Vito und Dirk Nowitzki schutzlos? Haben Minderheiten wie besonders kleine oder besonders große Menschen einfach Pech bei Glastüren in Glaswänden?

 

Liebe Richter, wenn ihr schon so tolle Urteile macht, wäre es klasse, ihr würdet dem Betroffenen genau sagen, wie er es besser machen kann. Wie, das ist nicht euer Job? Also bitte, das ist eine äußerst schwache Entschuldigung. Ach so, das wisst ihr auch nicht? Das allerdings glaube ich euch unbesehen. Ginge mir nämlich genauso. Ich hätte auch keine Ahnung, was ich dem Hotelier empfehlen sollte: Eine Glastür aus buntem Glas? Ganz viele Kaffeebecher auf die Glastür malen? Glaswand entfernen, Steinwand mauern und eine Holztür einsetzen? Hotel verkaufen und Glaser werden? Glaskugel auf den Schreibtisch stellen und öfter mal einen Blick reinwerfen? Manchmal ist man wirklich ratlos.

 

Warum das Landgericht Lübeck das anders gesehen hat? Keine Ahnung, möglicherweise fanden sie ein anderes Ergebnis irgendwie gerechter. Denn auch so kann Rechtsprechung funktionieren, nämlich ergebnisorientiert. Aber vielleicht ist das auch einfach nur ein Fall für den Würfel gewesen?

 

Für Interessierte:

LG Lübeck 04.08.2016 - 12 O 260/14

OLG Schleswig 22.6.2017 - 11 U 109/16

Musiktipp:

Chicago II von Chicago

 

23 WdW Hinweis Wind ist windig

Vorsorglicher Hinweis: Wind kann verdammt windig sein!

 

© am Text: Detlef Wendt

© am Bild: Sabine Czudaj-Wendt