Der 25. Wendt der Woche: Seltsame Richter - Mit Foto + Filmtipp

47. KW 2018

 

Ebenso wie Ohrwürmer in der Musik bleiben auch Werbesprüche haften, manche ein Leben lang. Ich sage den Spruch, und Sie kennen das Produkt: „Nicht immer, aber immer öfter." Oder: "Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ Manche Werbesprüche lassen sich auch prima für andere Dinge als das beworbene Produkt verwenden. Zum Beispiel für Berufe: 

 

Stellen Sie sich vor, Sie sind Tennisspieler und derzeit die Nummer 1 der Weltrangliste. Hier bietet sich ein T-Shirt an mit dem Aufdruck "Ich will da bleiben, wo ich bin." Oder Sie sind Boxer und neigen dazu, Ihren Gegnern im Kampf ein Ohr abzubeißen. Da macht ein Boxhandschuh mit dem Aufdruck "Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können." durchaus Sinn. Oder Sie sind Pornodarsteller und bewerben Ihr bestes Stück mit einem Aufdruck auf Ihrer Unterhose als "die vermutlich längste Praline der Welt." Sollten Sie eine Ausdehnung in die andere Richtung bevorzugen, geht vielleicht auch "Boah, ist der dick, Mann!" Nicht übel, finden Sie? Vielen Dank, aber alles nichts gegen den geistigen Erguss eines Richters aus Mecklenburg-Vorpommern:

 

Am Landgericht Rostock waren zwei Menschen wegen verschiedener schwerer Delikte angeklagt, unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubes. Das Gericht verurteilte die Angeklagten. Sie legten Revision ein. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil wegen eines Rechtsfehlers auf. Er verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück an das Landgericht Rostock.

 

Der jetzt zuständige Richter war modernen Medien gegenüber aufgeschlossen und verfügte er über einen Facebook-Account. Darin hatte er, für alle Nutzer sichtbar, ein Bild von sich eingestellt: Er sitzt auf einer Terrasse und hält ein gefülltes Bierglas in der Hand. Sein T-Shirt trägt den deutlich sichtbaren Aufdruck „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA.“

 

Damit man ihn als Richter identifizieren konnte, enthielt seine Seite den Hinweis "zweite große Strafkammer beim Landgericht Rostock". Im Kommentar erläuterte er seinen Gesichtsausdruck auf dem Bild mit den Worten „Das ist mein ‚Wenn du rauskommst, bin ich in Rente-Blick‘.“

 

Ein Profilbesucher fügte einen Kommentar hinzu: „…sprach der schwedische Gardinenverkäufer“. Diesem Kommentar gönnte der Richter ein beherztes „like“, fand den Kommentar also offenbar gut.

 

Nachdem der Verteidiger eines der beiden Angeklagten diesen Facebook-Eintrag gesehen hatte, lehnte er den Richter am nächsten Verhandlungstag wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Richter hielt sich nicht für befangen und erklärte dazu, er werde sich zu privaten Lebensumständen nicht äußern. Die Strafkammer wies das Ablehnungsgesuch anschließend mit der Begründung zurück, der Facebook-Account des Richters sei privat und offensichtlich humoristisch geprägt.

 

Aus unerklärlichen Gründen konnte der vermutlich humorlose Verteidiger darüber nicht lachen. Neugierig, ob die Richter am Bundesgerichtshof die Begründung und das T-Shirt ebenfalls lustig fänden, legte er gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock Rechtsmittel ein. Die Karlsruher Richter rieben sich die Augen, als sie den Facebook-Account des Rostocker Richters sahen. Und kippten aus den Latschen, als sie Begründung des Rostocker Gerichtes lasen. Sie gaben dem Ablehnungsgesuch in selten so gebotener Kürze statt: Die Eintragungen bei Facebook lassen eindeutig auf eine innere Haltung des Richters schließen, dass dieser nicht objektiv urteile, sondern Freude an der Verhängung hoher Strafen habe. Durch den im Account enthaltenen Hinweis auf die Strafkammer beim LG Rostock bestehe auch kein Zweifel, dass hier seine Berufsausübung betroffen sei. Und da der Bundesgerichtshof in diesem Fall scheinbar kein großes Vertrauen mehr in die Rechtsprechung des Landgerichtes Rostock hatte, verwies er die Sache an das Landgericht Stralsund, was man wohl als schallende Ohrfeige in Richtung des Landgerichts Rostock verstehen dürfte.

 

Wir sollten an unsere Richter keine übernatürlichen Anforderungen stellen. Sie sind Menschen wie du und ich. Auf Grund ihrer Tätigkeit darf der Bürger allerdings erwarten, dass sie ihr Gehirn auch in der Freizeit im Standby-Modus laufen lassen. Dass ihnen das leider nicht immer zur vollsten Zufriedenheit gelingt, habe ich bereits in dem Kapitel meines Buches „Was erwarten wir von unseren Richtern?“ geschildert. Aber was dieser Rostocker Richter sich hier geleistet hat, gehört jedenfalls in meine Top Ten der größten Knaller. Hätte sich das ein Anwalt gewagt, hätte ich gesagt, der hat eine Meise. Bei einem Richter maße ich mir ein derartiges Urteil nicht an. Für das Ansehen der Richterschaft ist der Facebook Account des Rostocker Richters, der hoffentlich mittlerweile gelöscht ist, aber etwa so sinnvoll wie Hämorrhoiden für Fahrradfahrer. Politikern würde man vermutlich nahelegen, ihr Amt oder Mandat abzugeben. In der freien Wirtschaft würde man wohl über eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachdenken. Was macht man eigentlich bei Richtern?

 

An dieser Stelle wollte ich eigentlich meinem Sarkasmus frönen und Richtern und Rechtsanwälten noch ein paar Werbesprüche auf den Leib schneidern. Ich stelle aber fest, dass angesichts dieses Falles auch mir die Spucke wegbleibt und das Lachen im Hals steckengeblieben ist. Sorry.

 

Für Interessierte:

BGH 12.01.2016 – 3 StR 482/15

 

Filmtipp:

Dr. Seltsam – Oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben von Stanley Kubrick

 

Ich find Brot gar nicht doof!

Manche Werbesprüche finde ich dumm wie Brot

 

© am Bild und am Text: Detlef Wendt (mit Ausnahme der in Anführungsstriche gesetzten Original-/Werbesprüche)