Der 34. Wendt der Woche: Die Mischung macht's! - Mit Foto + Musiktipp

04. KW 2019

 

Kürzlich las ich einen Begriff, von dem ich annahm, er sei längst ausgestorben: Mischehe. Während Mischbrote nahrhaft, Mischwälder sinnvoll und Mischgetränke schmackhaft sein können, herrscht auch heute selbst in scheinbar aufgeklärten Staaten gelegentlich die absurde Vorstellung, Mischehen seien gefährlich. Nur in Mischhaut, so die Kosmetikindustrie, ...

 

könne ein noch größeres Gefahrenpotential schlummern.

 

In Israel heiratete ein jüdischer Schauspieler 2018 eine muslimische Moderatorin. Das gefiel nicht jedem. Selbst hochrangige Politiker sollen not amused gewesen sein. Man empfahl ihrer Seele, zu konvertieren. Vielleicht aber auch seiner Seele, ich bin mir da nicht ganz sicher.

 

An dieser Stelle wird es Zeit, ein Geständnis abzulegen: Ich lebe in einer Mischehe. Meine Frau ist katholisch. Ich nicht. Meine Seele sehnt sich in der Regel nach belanglosen Dingen wie Gerechtigkeit, Weltfrieden, Gleichheit oder Freiheit. Hin und wieder auch nach guter Musik oder einem Glas Rotwein. Jedenfalls nicht nach dem Katholizismus. Nach anderen Religionen übrigens auch nicht.

 

Manchmal beneide ich religiöse Menschen. Für sie kann die Welt unglaublich einfach sein: Erkranke ich schwer, hat Gott mir eine Bürde auferlegt und will mich prüfen. Gesunde ich, haben mich Gott und mein Glaube an ihn gerettet. Kein Arzt, kein Medikament, keine starken Gene, kein Zufall. Ausschließlich Gott. 

 

Die Richter am Bundesgerichtshof beneide ich selten. Auch sie müssen sich in unregelmäßigen Abständen mit Mischmasch beschäftigen. So geschehen im Juli 2014: Ein Paar mietete 2006 ein mehrstöckiges Haus mit einer Wohnfläche von 270 m². Die Überschrift über dem unbefristet geschlossenen Mietvertrag lautete: „Vertrag für die Vermietung eines Hauses.“ Dem Paar wurde gestattet, die Räume im Erdgeschoss zum Betrieb einer Hypnosepraxis zu nutzen. Kurz: Oben wurde gewohnt = gelebt, unten wurde hypnotisiert = gearbeitet.

 

2012 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis. Einen Kündigungsgrund hatte er nicht. Braucht er auch nicht, sagte er, denn es handelt sich um ein Geschäftsraummietverhältnis. Das kann man, solange das Mietverhältnis unbefristet geschlossen ist, nach unserem geltenden Mietrecht grundlos kündigen. Quasi nach der – übrigens wahrscheinlich von mir erfundenen - Hackfressentheorie, die da lautet: Mieter, ich kann deine Hackfresse nicht mehr ertragen, ich kündige dir!

 

Die Mieter waren baff. Und wehrten sich. Nein, sagten sie, es handele sich um ein Wohnraummietverhältnis, und das könne man in der Regel nur kündigen, wenn man einen Kündigungsgrund habe. Die Hackfressentheorie zähle jedenfalls nicht zu den gesetzlich vorgesehenen Kündigungsgründen, womit sie übrigens recht hatten.

 

Es begann eine Odyssee vor den Gerichten. Zunächst musste geklärt werden, welches Gericht zuständig war. Bei Wohnraum wäre das Amtsgericht zuständig, bei Geschäftsraum in diesem Fall das Landgericht. Geklagt hatte der Vermieter. Ein Kläger muss entscheiden, vor welchem Gericht er Klage erheben will. Da er von einem Geschäftsraummietvertrag ausging, erhob der Vermieter folgerichtig Klage vor dem Landgericht. Das Landgericht war aber mitnichten der Ansicht, dass hier ein Geschäftsraummietvertrag vorliege. Nein, es ging vielmehr von einem Vertrag über Wohnraum aus. Schwupps, wies das Landgericht die Klage ab.

 

Dagegen legte der Vermieter Berufung ein. Das Berufungsgericht hielt das landgerichtliche Urteil für komplett falsch. Natürlich, sagte es, liege hier ein Geschäftsraummietvertrag vor. Schwupps, gab es der Klage statt. Dagegen legte nun der Mieter Revision ein. Schwupps, landete der Fall beim Bundesgerichtshof.

 

Dem Vermieter jagte das allerdings keine Angst ein. Denn der Bundesgerichtshof hatte bereits 1986 entschieden, dass bei Mischmietverhältnissen immer dann von einem Geschäftsraummietverhältnis auszugehen sei, wenn der Mieter durch die berufliche Tätigkeit seinen Lebensunterhalt bestreitet. Denn: Mit dem Job verdient er die Knete. Damit bezahlt er die Miete. Deshalb kann er da wohnen. Also gilt folgende Reihenfolge: Job – Knete – Miete – Wohnung. Schwupps, so einfach geht mitunter Rechtsprechung. Fast so einfach wie Religion.

 

Der Vermieter dachte kurz nach und lehnte sich entspannt in seinem Liegestuhl zurück: Ihren Lebensunterhalt bestreiten meine Mieter mit der Hypnosepraxis. Dank der Einnahmen können sie sich die darüber liegenden Räume zum Wohnen leisten. Also liegt ein Geschäftsraummietverhältnis vor, also kann ich grundlos kündigen, also müssen meine Mieter das gesamte Mietobjekt räumen. Zack, fertig.

 

Halt, stopp, sagte das Mieterpaar und wandte sich den Bundesrichtern zu: Schaut uns bitte mal ganz kurz sehr tief in die Augen und werdet müde, gaanz müüde, gaaanz müüüde. Schwupps, versanken die Bundesrichter in einen erholsamen Hypnoseschlaf. Gelernt ist gelernt, dachten die Mieter freudestrahlend. Und die Bundesrichter dachten auch, und zwar nach. Nachdem sie mehrere Tage in Trance gesessen oder gelegen hatten, riefen die Mieter: „Bitte tief einatmen und Augen öffnen“! Alle waren gespannt, zu welcher Entscheidung die Richter gelangt waren. Und siehe, oh Herr, die Richter waren geläutert!

 

Was wir 1986 von uns gegeben haben, räumten sie ein, war unbedacht, ein Schnellschuss ohne Reflexion, eine übereilte Entscheidung ohne Tiefgang. Aber jetzt haben wir die Lösung, ja wir sind sogar geneigt, ohne Übertreibung sagen zu können, das Ei des Columbus gefunden:

 

Mischmietverhältnisse gibt es nicht. Entweder haben wir einen Mietvertrag über Wohnraum oder über Geschäftsraum. Entscheidend ist, welche Nutzungsart überwiegt. Überwiegt die gewerbliche Nutzung nicht, liegt im Zweifel Wohnraum vor. Entscheidend ist aber immer der ganz konkrete Einzelfall. Und den beurteilt der Tatrichter auf Grund von Indizien. Die er dann bewerten muss. Und da sich mit diesem Fall bislang erst eine Fußballmannschaft beschäftigt hat (3 Landrichter, 3 Berufungsrichter und 5 Bundesrichter = 11 Richter), soll sich bitteschön auch mal ein Amtsrichter (quasi als Schiedsrichter) damit befassen. Der soll alle Indizien prüfen, abwägen und dann ein Urteil sprechen. Notfalls unter Hypnose. 

 

Der Bundesgerichtshof verwies den Fall an das Amtsgericht Berlin-Wedding zur erneuten Entscheidung. Noch Fragen, Euer Ehren?

 

Für Interessierte:

BGH 16.04.1986 – VIII ZR 60/85

BGH 09.07.2014 – VIII ZR 376/13

 

Musiktipp:

Are you ready? von Pacific, Gas & Electric

 

Is was

Ob ich ein Mischling bin?

Sorry, ist das wirklich wichtig?

 

© an Bild und Text: Detlef Wendt