Der 41. Wendt der Woche: Bahnbrechende Hundegesetze - Mit Foto + Musiktipp

11. KW 2019

 

Ich las, Robert Ryman sei gestorben. Der Mann war mir unbekannt. Ich las weiter, er sei Jazzmusiker gewesen. Mein Interesse war geweckt. Ich recherchierte und erfuhr, ...

 

dass er den Beruf des Musikers nur wenige Jahre ausübte. Er wechselte das Genre und tauschte sein Saxophon gegen Farbe ein. Malte er zu Beginn seiner Karriere noch schnöde orangefarbene Bilder, kam ihm später die bahnbrechende Idee, es einmal mit weiß zu versuchen. Fortan trug er weiße Farbe auf alle möglichen Untergründe auf. Manchmal in mehreren Schichten, jedoch immer auf quadratische Objekte wie Leinwände, Holzbretter oder Eisenplatten. Darauf muss man erst einmal kommen, Quadrate mit weißer Farbe zu bepinseln. Wahnsinn. Vor allem innovativ. Geradezu epochal.

 

So sahen es auch die Kritiker. Ein neuer Superstar am Kunsthimmel war geboren. Im Internet kann man Bilder von ihm sehen. Seine Bandbreite ist enorm. Malte er an einem Tag noch eierschalenweiße Quadrate, scheute er sich nicht, am nächsten Tag perlweiße Quadrate zu pinseln. Nahm er tags darauf cremeweiße Farbe, war er innovativ genug, um zu Zahnweiß zu wechseln, um am nächsten Tag sofort wieder zu Reinweiß zurückzukehren. Weiß der Teufel, woher er diese Inspirationen nahm. Mag da göttliche Eingebung im Spiel gewesen sein?

 

Später kam er auf die noch bahnbrechendere Idee, seine weißen Bilder mit grauen oder schwarzen Strichen zu versehen. Vielleicht sind sie aber auch anthrazitfarben. Leider – ich muss es zu meiner Schande gestehen - fehlt mir dazu der Sachverstand. Die Anordnung der Striche ist grandios, ja geradezu phänomenal. Auf den ersten Blick wirken sie wie aus Heften von jüngeren Kindergartenkindern abgeschaut, wenn diese das erste Mal einen großen Bleistift in ihre kleinen Hände nehmen und ungelenk auf einem Stück Papier herumkritzeln.

 

Natürlich weiß auch ich, dass das Unsinn ist, und der Künstler sich in Wahrheit in einem Jahre, ja vermutlich Jahrzehnte dauernden, mühsamen Schaffensprozess diese filigrane Strichtechnik angeeignet hat, um sie punktuell dort, wo es ihm künstlerisch angebracht erschien, anzuwenden und die weißen Bilder mit diesen schwarzgrauen oder grauschwarzen Phrasierungen zu perfekter Göttlichkeit oder göttlicher Perfektion werden zu lassen. Nicht umsonst hängen seine Bilder heute im Museum Of Modern Art in New York.

 

Spontan erinnerte ich mich an meinen Kunstunterricht in den siebziger Jahren. Unser Kunstlehrer zeigte uns bahnbrechende Objekte. Ein Künstler hatte am Strand eine alte Aktentasche gefunden und sie auf einem Holzbrett befestigt. Leider erinnere ich mich nicht mehr daran, ob er die Tasche auf das Brett geklebt, genagelt oder geschraubt hatte. Heute bedaure ich es, damals nicht besser aufgepasst zu haben. Ich glaube allerdings noch zu wissen, dass weder das Brett noch die Tasche quadratisch waren. Sie dürften rechteckig gewesen sein, was zu der damaligen Zeit wahrscheinlich bahnbrechend war.

 

In einem anderen uns gezeigten Werk hatte derselbe oder ein anderer genialer Künstler Hasenköttel auf ein Brett aufgebracht. Hier bin ich mir relativ sicher, dass die Köttel nicht angenagelt oder angeschraubt, sondern angeklebt waren. Bahnbrechend war auch, dass der Künstler die Köttel nicht etwa zufällig auf dem Brett verteilt, sondern mit wohlüberlegtem Kalkül pedantisch genau in mehreren Reihen und Spalten, wie auf einem Schachbrett, angeordnet hatte. Acht Köttel in der Waagerechten und acht Köttel in der Senkrechten. Macht genau 64 Köttel. Wahnsinn. Innovativ. Epochal. Zum Schutz gegen Diebstahl und Vandalismus hatte der Künstler eine gläserne Haube über die Köttel gestülpt. Ich vermute, dass auch diese Kombination aus verschiedenen Materialien wie Holz, Klebstoff, Köttel und Glas bahnbrechend war. Wahrscheinlich hängen diese Werke heute im Museum Of Modern Kot in Kotzen.

 

Bahnbrechend und epochal ist auch der Datenschutz. Zu meiner Schulzeit war es üblich, dass der Klassenlehrer jeden Schüler vor der gesamten Klasse nach seinen familiären Verhältnissen ausfragte: Beruf des Vaters und der Mutter sowie Anzahl und Schulbildung der Geschwister. So erfuhr man, wer Sohn des Amtsgerichtsdirektors war. Oder wessen Eltern eine Pommesbude hatten. Oder wer neun Geschwister hatte. Heute ist das alles undenkbar. Die Lehrer können froh sein, wenn die Schüler ihnen ihre Klarnamen sagen und nicht darauf bestehen, als Fuck-die-Future-123 oder Blödebumsbirne456 angeredet zu werden.

 

Seit dem 22.07.2016 gibt es in Berlin ein Hundegesetz. Das Gesetz richtet sich (noch) nicht unmittelbar an die Hunde, sondern vorerst an die Hundehalter. Stein des Anstoßes in einem Gerichtsverfahren war § 12 Absatz 2 dieses Gesetzes. Darin ist geregelt, dass Hunde außerhalb der eigenen vier Wände einen Hinweis mit Namen und Anschrift des Halters tragen müssen. Der Hinweis muss am Halsband oder am Geschirr getragen werden, Brandzeichen oder Tätowierungen sind demnach wohl nicht zulässig. Die meisten von uns kennen das von Urlaubsreisen. Auf die Kofferanhänger schreiben wir brav unseren Namen und unsere Anschrift. Falls der Koffer auf dem Flug von Frankfurt nach Nizza in Sidney landet, kann man uns benachrichtigen. Hätte Blödebumsbirne456 auf dem Anhänger gestanden, wäre der Koffer wohl weg. 

 

Ein Berliner Hundehalter sah sich durch die Vorschrift in seiner Privatsphäre beeinträchtigt, weil er dadurch gezwungen werde, eigene personenbezogene Daten offenzulegen. Immerhin sei nicht ausgeschlossen, dass potentielle Straftäter auf diese Weise seine Wohnanschrift ausspionieren und bei ihm einbrechen könnten, während er mit dem Hund Gassi ginge.

 

Das Berliner Verfassungsgericht hatte zwar Verständnis für die Sorge des Bürgers, vermochte aber seinen Argumenten nicht zu folgen. Das Gesetz verlangt vom Bürger nicht, seinem Hund einen DIN A 3 Zettel umzuhängen, auf dem die Halterdaten in so großen Buchstaben stehen, dass man sie aus einem von über dem Halter kreisenden Hubschrauber aus entziffern kann. Im Gegenteil, so das Gericht. Die Kennzeichnung könne auch verdeckt vorgenommen werden, meinten die Richter. Sprich mit angespitztem Bleistift in klitzekleiner Schrift. Von daher sei die Beeinträchtigung nur sehr gering.

 

Nicht auszudenken, wenn die Klage des Bürgers geklappt hätte. Wäre bahnbrechend gewesen. Wie weiße Farbe auf Quadraten.

 

Für Interessierte:

Verfassungsgerichtshof Berlin 16.01.2019 - VerfGH 15/17

 

Musiktipp:

A sky full of painters von Kaipa

 

Kabel quadratisch

Schwarze Kabel auf in grauem Farbton

meliertem Untergrund. Quadratisch.

Vermutlich bahnbrechend. 

 

© an Text und Bild: Detlef Wendt