14. KW 2019
„Wer zusammenzieht, nimmt zu.“ Irgendwo schnappte ich diese Lebensweisheit auf, im Fernsehen oder in der Bahn. Klingt plausibel. In Gesellschaft macht essen definitiv mehr Spaß. Genauso wie Fußball, Geschlechtsverkehr und Theater.
Meine Frau und ich spielen keinen Fußball, gehen aber regelmäßig ins Theater. In nahezu jedem Kunstbunker wird der Besucher beköstigt. Und kaum ein Kulturfreund hat den Schneid, den Koch zu enttäuschen. Deshalb wird gemampft, was der Gürtel hält. Aber nicht nur Hungerhaken futtern fette Frikadellen, nein. Die Bereitschaft zur Einnahme von Pausennahrung steigt, je mehr der Kulturfreund auf die Waage bringt. Ab 140 kg Eigengewicht schafft er vor der Vorstellung locker zwei Currywürstchen im Brotlaib, um sich in der Pause nach dem ersten Akt rasch zwei XXL-Frikadellen in den Schlund zu stopfen. Aber warum? Mitleid mit dem Caterer? Keine Lust, mit dem Partner zu reden? Falsches Verständnis vom Begriff Nahrungsergänzungsmittel? Oder weil Kauen den Speichelfluss anregt?
Fragen Sie sich auch, warum Einstellplätze in Tiefgaragen immer kleiner werden? Nur, dass die gar nicht kleiner werden. Die Autos sind schuld, denn die werden immer größer. Das ist wie bei den Stühlen im Theater. Nicht die Sitze werden kleiner, nein, die Besucher werden immer dicker. Und wenn neben mir ein 180 kg schwerer Big Ben sitzt, dessen überschüssiges Bauchfett erbarmungslos über unserer gemeinsamen Armlehne hängt, dann, sorry, lieber Ben, habe ich keine Lust mehr auf Kunst.
Lieber Ben, wenn Du so viel Kohle hast, dass Du Dir Essen für drei leisten kannst, dann müsste es doch auch für drei Theaterplätze reichen. Kauf daher beim nächsten Mal doch bitte drei nebeneinanderliegende Plätze und setz Dich in die Mitte. Links legst Du Dir zwei Tüten Chips hin, rechts eine Kiste Malzbier. Danke.
Ein Gärtner wog roundabout 200 kg, bei einer Größe von 1,94. Das entspricht grob gerechnet einem guten Kilo pro cm. Sein Chef gab ihm die Kündigung, weil der Gärtner seiner Meinung nach für den Beruf nicht mehr geeignet sei. Er sei viel zu schwer, um auf marktübliche Leitern zu klettern, er könne nicht mehr in Gräben arbeiten, in Fahrzeugen beanspruche er zwei Sitzplätze usw. Der Gärtner erhob Kündigungsschutzklage, die er vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf gewann. Es sei nicht erwiesen, dass der Gärtner seinen Job nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen könne, meinte das Gericht.
Ich frage mich, ob es nicht auf der Hand liegt, dass jemand, der körperlich arbeiten muss, dazu umso ungeeigneter ist, je schwerer er ist? Ich wiege 80 kg bei einer Größe von 1,80 m. Um ein Gewicht von einem Kilogramm pro cm Körpergröße zu erhalten, müsste ich mir 5-6 Kisten Malzbier auf meine Schultern hieven. Ob ich damit in der Lage wäre, im Garten noch etwas anderes zu machen als auf einem sehr stabilen Stuhl zu sitzen, halte ich für mehr als zweifelhaft.
Der Europäische Gerichtshof hat sich ebenfalls mit diesem Problem befassen müssen. Er ist der Ansicht, besonders starkes Übergewicht (Adipositas) sei eine Behinderung. Und unser Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung auf Grund einer Behinderung. Auf den ersten Blick mag das bei der beabsichtigten Einstellung eines Arbeitnehmers zu folgendem kurios anmutendem Ergebnis führen: Ist der Bewerber so korpulent wie Cindy aus Marzahn, hat er eine Glatze wie ich oder eine dicke Warze wie der Peter Makkay, kann der Arbeitgeber ihn genau deshalb ablehnen. Heißt der Bewerber dagegen Rainer Calmund, ist die offene Stelle so gut wie besetzt. Ob das wirklich im Sinne des Erfinders ist?
Für Interessierte:
ArbG Düsseldorf 17.12.2015 - 7 CA 4616/15
EuGH 18.12.2014 – C-354/13
Musiktipp:
Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz von Marius Müller-Westernhagen
Vor mehr als 50 Jahren war dieser
Bauch für mich eine Sensation, daher
das Foto. Heute ist er leider Alltag.
© an Bild und Text: Detlef Wendt