18. KW 2019
Obwohl mir doch das eine oder andere gelungen ist, bin ich beileibe kein Erfolgsmensch. Ich habe in den letzten 40 Jahren immer mal wieder den Versuch unternommen, einen Roman zu schreiben. Über Seite 28 bin ich bislang nicht hinausgekommen. Vor 45 Jahren habe ich angefangen, Gitarre zu spielen. Obwohl ich fleißig geübt habe und in mehreren Bands spielte, war ich Lichtjahre von den Fähigkeiten eines Peter Green oder J. J. Cale entfernt. Es gibt vieles, ...
... was ich nicht beherrsche. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass mir das Leben im Großen und Ganzen bisher ganz gut gelungen ist, wobei nicht immer eigene Leistung, sondern hier und da auch Glück im Spiel war. Versager, so stelle ich beim Blick in den Spiegel zufrieden fest, sehen irgendwie anders aus.
Vielleicht so, wie einige der heutigen Fernsehstars? Kürzlich zappte ich mich zu einem Privatsender, der mit Vorliebe auch Auswanderer zeigt. Der Sender wollte mir einen Vorgeschmack auf künftige Sendungen geben. Gezeigt wurden - nach meinem persönlichen, für den Rest der Welt vollkommen unmaßgeblichen, aber eben meinem Empfinden - Schwachmaten, Proleten und Idioten auf ihrem Weg von Deutschland nach Trallalalitien, wo sie ihren Lebenstraum verwirklichen und entweder einen Friseursalon für Meerschweinchen oder einen Delikatessenladen für Hamsterfleisch, so genau wussten sie’s noch nicht, eröffnen wollten.
Deutschland, meinten sie, hätte ihnen - außer mickrigen Sozialleistungen - nichts zu geben, sei für so ausgeflippte Ideen wie die ihren auch viel zu konservativ und überhaupt sei es hier zu kalt und zu regnerisch. Trallalalitien dagegen sei offen für alles, auch für Hamsterfleisch, und überdies warm und trocken. Sollte es dort wider Erwarten nicht funzen (Anmerkung: Das sagt man heute so, soll wohl funktionieren heißen), gehe man eben nach Hopsasa, weil das Klima da ähnlich sei, nur eben bloß nicht zurück nach Deutschland. Ich ging ins Bad, um mich kurz zu übergeben. Dann las ich Berichte über andere Versager:
Ein Mann plante einen erweiterten Suizid. Er fuhr mit seiner Frau im Auto. Das Auto lenkte er absichtlich gegen einen Baum. Ein Teil des Plans ging auf: Seine Frau starb. Der Rest ging in die Hose: Er überlebte. Der Mann wurde wegen Mordes verurteilt. Er legte Revision ein. Das Revisionsverfahren verzögerte sich. Grund: Das Protokoll der Hauptverhandlung am Landgericht Potsdam wurde erst sehr spät (und damit ist nicht Mitternacht gemeint, sondern wohl mehr als vier Monate) von den Richtern unterschrieben. Der Täter musste daher aus der Untersuchungshaft entlassen werden.
In Berlin lief es auch nicht besser. Das dortige Kammergericht musste einen mutmaßlichen Schwerverbrecher aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Gericht sah sich nicht in der Lage, den Prozess innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen sechsmonatigen Frist zu beginnen. Grund: Überlastung der Justiz. Die Berliner Strafrichter beklagen sich angeblich schon seit Jahren darüber, dass der Staat seiner Pflicht, die Justiz mit handlungsfähigem Personal auszustatten, nur unzureichend nachkomme. Und dann passiere eben das, was passiert sei. In Berlin übrigens kein Einzelfall.
Auch der unaufgeregte Bürger nimmt das alles gelassen zur Kenntnis. Wenn nämlich bereits der Staat versagt, wiegt das Versagen des Einzelnen nicht mehr so schwer, ja ist gelegentlich sogar hoffähig. Viele Fernsehsendungen beweisen das mittlerweile sehr eindrucksvoll. Noch nie war die Gelegenheit für Versager wie Schwachmaten, Proleten und Idioten so günstig, um ins Fernsehen zu kommen. Ich glaube, ich koche mir jetzt ein Hamsterragout mit Meerschweinchensauce. Danach kann ich bestimmt wieder ins Bad.
Für Interessierte:
OLG Brandenburg 06.12.2018 – 21 Ks 5/17
KG in becklink 2012571
Musiktipp:
Killer von Alice Cooper
Bäume, viel zu schade zum dagegen fahren
© am Text: Detlef Wendt
© am Bild: Sabine Czudaj-Wendt