19. KW 2019
Ich las, in der Nähe von Nowosibirsk lebe eine 38-jährige Lehrerin mit einem ungewöhnlichen Hobby: Eisbaden. Wer im Gegensatz zu mir Nowosibirsk kennt, weiß, wie kalt es dort für gewöhnlich ist. Zweistellige Minusgrade sollen dort keine Seltenheit sein. Anfang Februar 2019, so entnahm ich der Gazette, habe die Dame ein Foto von sich ins Internet gestellt. Darauf ist sie ...
... auf einer Eisscholle zu sehen, bekleidet mit einem einteiligen Badeanzug, wahrscheinlich kurz vor oder nach dem Untertauchen in das lausekalte Wasser unterhalb der Scholle.
Merkwürdige Zeitgenossen wie Kolleginnen der Lehrerin und Mütter der Schüler informierten die Schulleitung und forderten die Kündigung der Dame. Offizielle Begründung: Eine Lehrerin, die sich wie eine Prostituierte kleide, sei nicht geeignet, Kinder angemessen zu unterrichten. Man mag es kaum glauben: Frau Lehrerin verlor ihren Job. Dabei half auch nicht, dass eine Fürsprecherin der Lehrerin betonte, die wenigsten Frauen würden in einem Leichensack baden, zumindest diejenigen nicht, die noch atmen könnten.
6000 km davon entfernt in Oberbayern lebt ein Ehepaar. Ihm (dem Mann, nicht dem Ehepaar) gehört ein Grundstück. Nicht unterschlagen werden soll an dieser Stelle, dass er Unternehmer ist und dass sein Grundstück nicht bloß ein Grundstück, sondern ein Anwesen sein soll, exklusiv und schee, wie die Bayern zu sagen pflegen. Für den weiteren Verlauf der Dinge ist das natürlich absolut unwichtig. Etwas anderes zu behaupten wäre eines Shitstorms ungeahnten Ausmaßes würdig. Ich erwähne es lediglich der Vollständigkeit halber. Ziehen Sie daher bitte keine voreiligen Schlüsse daraus.
Die Nachbarin des Unternehmerehepaares ist nur eine Bäuerin, was für den weiteren Verlauf der Dinge allerdings sehr wichtig ist. Denn auch sie ist Unternehmerin. Sie führt auf ihrem Grundstück, das vermutlich kein Anwesen, sondern bloß das Nachbargrundstück des unternehmerischen Anwesens ist, einen Familienbetrieb. Betriebskapital: Kühe. Nun sind Kühe an sich keine unangenehmen Gesellinnen, zumindest dann nicht, wenn sie in Tranchen geschnitten auf einem Grillrost liegen. Als störend empfunden werden sie von Zeit zu Zeit lediglich dann, wenn sie in unaufgeschnittenem Zustand auf Grundstücken herumlaufen. Denn dabei läuten die Glocken, die man ihnen um den Hals gehängt hat. Wobei mir nicht ganz klar ist, welchen Sinn das haben soll. Vielleicht, damit sie beim Laufen nicht einschlafen? Letztlich ist das egal, denn:
Der Unternehmer und seine Frau sind derart gestörte Zeitgenossen. Sie schlafen gerne, sehen sich aber ob des Geläutes dazu außerstande. Beide verklagen die Bäuerin daher auf Unterlassung des Kuhglockengebimmels. Wohlwissend, wie schlecht unsere Richter gelegentlich sind, klagen sie in weiser Vorausschau in zwei getrennten Verfahren, also jeder für sich, aber beide Male gegen die Bäuerin. Denn verlöre der eine, hätte man mit der Klage des anderen noch immer eine Kugel im Rohr, oder besser, einen Liter Milch im Euter. Wohl dem, der Unternehmer ist, ein Anwesen sein eigen nennt und sich diesen Luxus leisten kann. Das Unternehmerehepaar soll die Klage unter anderem damit begründet haben, dass die Nutzung der benachbarten Weide durch Kühe der Bäuerin nicht ortsüblich sei. Für Oberbayern ein durchaus einleuchtendes Argument.
Beide verloren ihre Klagen vor dem Landgericht, er, der Unternehmer, auch sein Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht. Doch noch ist nicht aller Tage Abend: Der klägerische Anwalt will den Bundesgerichtshof anrufen. Vielleicht sind die dortigen Richter an dem Tag sogar zufällig da und nehmen den Hörer ab. Wer weiß?
Für Interessierte:
Klage des Mannes: LG München II 14.12.2017 – 12 O 1303/17
OLG München 10.04.2019 – 15 U 138/18
Klage der Frau: LG München II 24.01.2019 – Aktenzeichen ist mir nicht bekannt
Musiktipp:
Blackfield von Blackfield
In Asien gibt' Kühe ohne Glocken.
Ein Paradies für bayerische Unternehmer.
© am Text: Detlef Wendt
© am Bild: Julian Schain