26. KW 2019
Mein Hund heißt Oscar, ist ein Malteser, 6 Jahre alt und knapp 6 kg schwer. Trete ich ihm aus Versehen auf seine Pfote, quiekt er mangels anderer Kommunikationsfähigkeiten kurz. Warum er das macht, kann ich nur vermuten. Freude, Spaß oder Vergnügen sind ...
... denkbar, aber nicht zwingend. Ich tippe eher auf Schmerz. Mangels sadomasochistischer Veranlagung ziehe ich schmerzloses Leben vor. Auch bei Tieren. Allerdings nicht bei allen, wie ich einräumen muss. Bei der Tötung von Insekten fehlt mir jegliches Unrechtsbewusstsein. Im Sommer 2018 habe ich in einem wahren Blutrausch Heerscharen von Mücken im Schlafzimmer skrupellos abgeschlachtet. Die nach dem täglichen Massaker an den Wänden sichtbaren Blutspritzer berührten mich nicht im Geringsten. Teilnahmslos beseitigte ich Kadaver und Blutreste mit einem Waschlappen. Bevor ich abzustumpfen drohte, ließ meine Frau Fliegenfenster im Schlafzimmer einbauen. Erleichtert stelle ich fest, dass mir das tägliche Blutbad nicht fehlt. Im Gegenteil, Tatortreinigung wird wohl nie mein Ding werden.
Ob Tiere, und wenn ja, welche, überhaupt Schmerzen empfinden, ist auch heute nicht ganz unumstritten. Nur Tiere mit eigenem Nervensystem sollen Schmerz empfinden. Mein Hund Oscar gab nach eingehender Befragung zu, über ein solches zu verfügen. Mücken dagegen, trotz hartnäckiger Befragung, nicht. Doch wie ist das wohl mit Küken?
Das Land Nordrhein-Westfalen untersagte einem Brütereibetrieb, männliche Küken kurz nach dem Schlüpfen zu töten. Der Betrieb wehrte sich gerichtlich dagegen, weil diese Vorgehensweise branchenüblich sei. Immerhin würden bundesweit mehr als 40 Millionen Küken geschreddert oder vergast. Außerdem sei er nach dem Tierschutzgesetz dazu berechtigt. Denn das Gesetz verbiete es lediglich, Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leid oder Schäden zuzufügen. Der vernünftige Grund der Tötung liege hier darin, dass es für männliche Küken keinen Markt gäbe. Sie seien unverkäuflich. Es wäre also wirtschaftlich unvertretbar, diese Küken am Leben zu lassen.
Das Oberverwaltungsgericht in Münster schloss sich, wie bereits die Vorinstanz, der Argumentation des Brütereibetriebes an. Das Halten und Aufziehen der männlichen Küken sei ökonomisch sinnlos, da niemand diese aufgezogenen Tiere aufkaufe. Das Interesse des Brütereibetriebes, derartigen sinnlosen Aufwand zu vermeiden, sei höher zu bewerten als das Interesse der Bevölkerung, die Tiere am Leben zu lassen.
Das Bundesverwaltungsgericht sah das am 13.06.2019, ja, wie soll ich es ausdrücken, anders oder genauso? Wahrscheinlich wussten die Richter das selbst nicht so genau. Sie meinten, dass das Töten der Küken nach unseren heutigen Wertvorstellungen eigentlich keinen vernünftigen Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes darstelle. Im Gegenteil, die Belange des Tierschutzes seien durchaus gewichtiger als die wirtschaftlichen Interessen der Brütereibetriebe.
Allerdings habe man diese Praxis des Tötens jahrzehntelang hingenommen, unter anderem auch deswegen, weil man dem Tierschutz seinerzeit nicht den Stellenwert eingeräumt habe, den er heute genieße. Daher sei es unzumutbar, von den Brütereien zu verlangen, diese Praxis sofort zu beenden. Zumindest bis zur Einführung von tierschutzfreundlichen Alternativen ist töten also weiterhin erlaubt.
Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich diese Entscheidung richtig verstehe. Heißt das zum Beispiel, dass durchgeknallte Ehemänner, die ihre Ehefrauen seit Jahrzehnten verprügeln, so lange weitermachen dürfen, bis ein Aggressionsersatz in Form eines Sandsackes im Haushalt vorhanden ist? Ich glaube, ich rufe beim Bundesverwaltungsgericht mal an und lasse mir die Entscheidung eingehend erläutern.
Für Interessierte:
OVG Nordrhein-Westfalen 20.05.2016 – 20 A 530/15
BVerwG 13.06.2019 - 3 C 28/16
© am Text: Detlef Wendt