40. KW 2019
Nach knapp drei Monaten Blogger-Pause melde ich mich hiermit zurück. Ich war etwas abgespannt und müde und dachte, ein bißchen Zurückhaltung könne mir guttun. Ich hoffte auf einen Adrenalinschub durch ein tolles Urteil, irgendetwas Außergewöhnliches, Krasses, Verrücktes. Mein Stoßgebet wurde vom Landgericht Berlin erhört:
Dort haben drei Richter entschieden, dass Facebook die Daten von Hasskommentarschreibern, die die Bundestagsabgeordnete Renate Künast aufs Übelste beschimpft haben, nicht nennen muss, um es Frau Künast zu ermöglichen, gerichtlich gegen diese Hasskommentarschreiber vorzugehen. Die Beleidigungen, um die es geht, dürften hinreichend bekannt sein. Im Wesentlichen handelt es sich wohl um den Standardwortschatz der Zuschauer und Akteure niveauvoller TV-Beiträge, in denen Versager auswandern und Frauen getauscht werden.
Ich befürchte, die Richter (zwei Damen und ein Herr) haben nicht damit gerechnet, dass sich nach Bekanntwerden des Urteils ein Scheißsturm sondergleichen über sie ergießen könnte. Nahezu die gesamte deutsche Medienlandschaft hält die Richter für borniert, unfähig, empathielos und behämmert, wobei das noch die freundlichen Attribute sein dürften. Der gemeine Bürger auch, obwohl er das Urteil nicht einmal kennt, geschweige denn gelesen hat. Teilweise wird sogar gefordert, die drei Richter unverzüglich aus dem Richterdienst zu entlassen, was mich zu der Annahme verleitet, dass man in deren Haut wohl derzeit nicht stecken möchte. Ich würde daher gern versuchen, das Ganze etwas nüchterner zu betrachten, sozusagen von Anwalt zu Richter, wenn Frau Künast, die Berliner Richter und vor allem die Medien das erlauben:
Zunächst einmal sollten die allwissenden Mediengötter berücksichtigen, dass vielleicht einer von den drei Richtern überaus gerne der Klage von Frau Künast stattgegeben hätte, aber von den beiden Kollegen/innen überstimmt worden ist. Es ist also durchaus denkbar, dass nur zwei der drei Richter „borniert, unfähig, empathielos und behämmert“ sind. Und er, der Dritte, als Einäugiger unter Blinden das Prinzip von Recht und Ordnung verstanden hat. Nach Volkes Meinung hätte dieser dann doch eher einen Orden verdient als Beschimpfungen, oder irre ich?
Und wenn ich das aufgeregte Mediengeschreibsel richtig verstehe (was bitteschön nicht zwangsläufig der Fall sein muss), soll Frau Künast vor vielen Jahren eine Äußerung getätigt haben, die nicht nur dämliche Bürger veranlasst haben könnte, zu glauben, Frau Künast wolle Pädophilie legalisieren. Und das Landgericht soll in eben diesem Urteil niedergelegt haben, dass Frau Künast in diesem konkreten Fall durchaus damit rechnen müsse, ihrerseits aufs Übelste beschimpft und beleidigt zu werden. Nach dem Motto: Wer scharf schießt, muss in Kauf nehmen, dass scharf zurückgeschossen wird. Im Klartext also: Nennst du mich einen Hurensohn, darf ich verficktes Arschloch zu dir sagen. Gerne aber auch umgekehrt, wie's eben beliebt.
Wenn dem so ist: Entspricht dies unseren derzeitigen Gesetzen? Wenn dem so ist: Entspricht dies auch dem Volkswillen? Wenn dem so ist: Warum regen wir uns dann darüber auf? Vielleicht, weil es einen Unterschied macht, ob du mich einen Hurensohn nennst oder ich dich so bezeichne? Ja, vermutlich dürfte genau da der Hase im Pfeffer liegen: Beschimpfst du mich, ist das zweifelsohne eine Beleidigung, eine Ehrverletzung. Beschimpfe ich dagegen dich, handelt es sich lediglich um einen Ausdruck meiner freien, vom Grundgesetz gedeckten Meinungsäußerung. Ach Gott, wie könnte das Leben doch so einfach sein. Nicht ganz so einfach haben es sich und uns die Berliner Richter gemacht. Ich werde das mulmige Gefühl nicht los, sie wollten uns mit dem Urteil lediglich zu verstehen geben, dass derjenige, der gewaltlose Pädophilie für straflos hält, es aushalten müsse, als "Sondermüll", "Stück Scheiße", "Schlampe" oder "Drecks Fotze" bezeichnet zu werden. Aber irgendwie haben sie es wohl nicht hinbekommen, die Berliner Richter.
PS: Ja, auch ich bin nach über 30 Jahren forensischer Tätigkeit der Ansicht, dass manch Richter sich zur falschen Zeit am falschen Ort befindet. Und besser Bibliothekar oder Archäologe geworden wäre, in der Hoffnung, dort weniger Schaden anrichten zu können. Ja, auch ich bin der Ansicht, dass es Grenzen der Auseinandersetzung geben muss. Aber warten wir doch einfach mal ab, was das Rechtsmittelgericht dazu sagt. Also, liebes Kammergericht in Berlin: Bitte erkläre uns fassungs- und ahnungslosen Bürgern doch einmal in klaren Worten, ohne verschwurbelte juristische Nebelwolken, die Rechtslage. Und solltest du dazu ebenfalls nicht in der Lage sein, haben wir ja immer noch diverse Bundesgerichte in petto, die man auch nochmal fragen könnte. Glückauf!
Für Interessierte:
LG Berlin vom 19.09.2019 - 27 AR 17/19
© am Text: Detlef Wendt