29. KW 2019
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes hat sich zu Wort gemeldet. Er meint, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seien heute stärkeren Angriffen ausgesetzt als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Recht hat er. Und vermutlich meint er damit hauptsächlich Rechtsextreme und Reichsbürger, aber wohl auch Hasskommentarschreiber und andere verirrte Idioten. Ich frage mich, ...
... wie armselig es in den Oberstübchen dieser Leute zugehen muss. Oder anders ausgedrückt: Wie behämmert muss man sein, zu glauben, es gehe uns allen besser, sobald man Hass predigt und Gewalt verübt?
Dieselbe Eingangsfrage muss einer Richterin am Amtsgericht München auf der Zunge gelegen haben, als sie folgenden Fall verhandelte: Ein Mann findet einen geladenen Revolver in einer Mülltonne. Überglücklich erzählt er einem Freund von dem Fund. Sie entfernen die Patronen. Er bricht ein Wattestäbchen in der Mitte durch und setzt es in eine der Patronenkammern. Dann spielen beide Russisch Roulette, ohne allerdings den Abzug zu betätigen. Nachdem sie etwa so eine Stunde einen Heidenspass mit dieser harmlosen Spielerei hatten, verabschiedete sich der Freund. Er wollte wohl sein Glück in den anderen Mülltonnen der Stadt versuchen.
Der Finder spielt noch ein bisschen weiter. Ohne echten Schuss fehlt ihm jedoch der Kick. Also betätigt er einmalig den Abzug. Mit Erfolg. Das Wattestäbchen durchdringt die Schädeldecke und arbeitet sich bis ins Gehirn vor. Der Mann kommt erst ins Krankenhaus und anschließend vor den Strafrichter, wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Was lernen wir daraus? Derartige Spielchen sollten besser nur Rechtsextreme, Reichsbürger und Hasskommentarschreiber spielen. Mangels Gehirns kann ihnen dabei ja nichts passieren.
Ziemlich viel Gehirn muss dagegen wohl ein Mann im Raum Köln gehabt haben. Dort ereignete sich folgendes: Ein Pärchen wohnte zusammen in einem Haus. Er stand in Sandalen in der leicht abschüssigen Einfahrt und wartete auf sie. Sie fuhr mit dem Auto in die Einfahrt und stieg aus. Beide begrüßten sich. Sie beratschlagten, ob der Wagen besser anderswo abgestellt werden sollte. Das muss der Wagen gehört haben und setzte sich langsam rückwärts Richtung Straße in Bewegung. Er sah das.
Ohne zu überlegen, rannte er los und stemmte sich gegen das Heck des Wagens, um ihn aufzuhalten. Leider war er kein Dwayne Johnson, nicht einmal ein Bruce Willis, und der Wagen überrollte ihn. Er wurde schwerstens verletzt. Er verklagte ihre Kfz-Haftpflichtversicherung auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Das Gericht bewilligte ihm lediglich 30 % seines Anspruches und attestierte ihm ein erhebliches Mitverschulden nach dem Motto: Wie behämmert muss man sein, um zu glauben, man könne ein im Rollen befindliches Auto durch bloße Manneskraft aufhalten, noch dazu in Sandalen?
Die Frage mag berechtigt sein, vielleicht ist sie es aber auch nicht. Denn vielleicht hätte man dabei auch berücksichtigen müssen, dass der Mann mit seiner kleinen unüberlegten Heldentat nicht nur großes Unglück anderer Menschen verhindern wollte, sondern sehr wahrscheinlich auch verhindert hat.
Für Interessierte:
AG München 07.08.2018 – 1116 Ds 117 Js 217523/17
OLG Köln 05.07.2019 – 6 U 234/18
© am Text: Detlef Wendt