43. KW 2019
NICHT SCHULDIG!
Oh ja, die Arbeit macht frei
geh und hol die Schalmei
und dann spiel auf zum Tanz
solange bis alle ganz
und gar eingepfercht sind.
Ob sie schreien oder nicht
vor Scham weiß im Gesicht
oder zornig, ganz rot
was macht’s, bald sind sie tot
und nur Staub noch im Wind.
Jaja, die Arbeit macht frei
nein, ich war nicht dabei
habe kein Blut geleckt
nie gerufen „Verreckt!“
ich war scheu wie ein Kind.
Kannte keinen der Herrn
kann’s mir auch nicht erklär’n
auf einmal, plötzlich, war’s da
niemand weiß, wie’s geschah
glaub mir bitte, mein Kind.
Na ja, mal hatten wir
ein Gefühl, ein Gespür
da könnt‘ irgendwas sein
wie das Wetter im Bein
na ja, wie Beine so sind.
Aus ärztlicher Sicht dürfte es wenig Sinn machen, sich den Finger in den Hals zu stecken, um Erbrechen künstlich auszulösen. Hält es der Körper für sinnvoll, gibt er den Mageninhalt in der Regel auch ohne fremde Hilfe frei. Sollten Sie schon lange nicht mehr erbrochen haben, empfehle ich Ihnen die Lektüre eines Aufsatzes von Dr. Jürgen Herrlein. Der Kollege beschreibt darin, wie Verbände, Vereine und zum Teil hochkarätige Juristen mit Hilfe auch des Mietrechts das Dritte Reich tatkräftig bei der "Judenvernichtung" unterstützten:
So schreibt er, dass die Wohnungsbaugenossenschaften spätestens seit Ende 1935 keine Juden mehr als Genossen aufnahmen.
So schreibt er, dass das Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin mit der Begründung zurückwies, sie habe nicht nur den Deutschen Gruß oftmals erkennbar widerwillig geleistet, sondern auch bei einem Juden zur Untermiete gewohnt.
So schreibt er, dass die Berliner Grundeigentümer 1937 prüfen ließen, ob Vermieter Mietverträge mit jüdischen Mietern wegen "Irrtums über deren Rassezugehörigkeit" anfechten könnten.
So schreibt er, dass ein Grundbesitzerverein die Vermieter darauf hingewiesen hatte, dass jüdische Mieter, die im selben Haus wohnten, einen Fehler der Mietsache darstellten. Dadurch sei die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben. Was zur Folge habe, dass Mieter mit einem jüdischen Nachbarn im Haus die Miete mindern könnten.
So schreibt er, dass Mietervereine 1934 alle jüdischen Mitglieder ausgeschlossen hätten.
So schreibt er, dass ein Berliner Landgericht die Ansicht vertrat, Vermieter könnten ihren jüdischen Mietern stets grundlos kündigen. Die damit verbundene Obdachlosigkeit jüdischer Mieter sah das Landgericht als gewünscht an, um die knappen freien Wohnungen den Deutschen zur Verfügung zu stellen.
So schreibt er über den bekannten Fall des jüdischen Vermieters Leo Katzenberger, der in einem vor Rechtsbeugung nur so strotzenden Fall zum Tode verurteilt wurde. Und berichtet, dass der in diesem Verfahren zuständige Vorsitzende Richter noch 1967 dieses Todesurteil mit den Worten kommentiert haben soll "Sollten wir in Rechtsfragen danebengegriffen haben, na und, das kommt doch jeden Tag vor."
So schreibt er, dass eben diese Blutjuristen nach dem Krieg als honorige Bürger angesehene Berufe ausübten, der Staatsanwalt im Katzenberger-Prozess beispielsweise als Richter am Oberlandesgericht München. Lange blieb er dort allerdings nicht. Auf Druck der Presse wurde er aus dem Dienst entlassen. Mit vollen Pensionsbezügen.
Jetzt wieder ich: Da kotzt man gerne auch mal ohne Finger im Hals, oder?
Wir müssen uns entscheiden, in was für einer Welt wir leben wollen: In einer Welt voller Gewalt, Willkür und Ausgrenzung? Oder in einer Welt der Akzeptanz und Toleranz jedem gegenüber, der anders ist als man selbst, und in der Intoleranz nur gegenüber denen herrscht, die eine Welt voller Gewalt, Willkür und Ausgrenzung wollen? Ich für meinen Teil muss nicht einmal eine Sekunde lang überlegen. Ich glaube, wir müssen uns jeden Tag bewusst machen, dass Rechtsstaat und Freiheit nicht selbstverständlich sind. Wir sollten unsere Welt nicht den Schlächtern, den Hohlköpfen und Schwachmaten überlassen.
Für Interessierte:
Dr. Jürgen Herrlein: Das Mietrecht als "Baustein am Unrechtsgebäude" des Nationalsozialismus, NZM (= Neue Zeitschrift für Mietrecht) 2015, Seite 641 ff
© am Text: Detlef Wendt (Das Gedicht habe ich bereits 2007 geschrieben)